Der Vater des MEMS

Mit der Entwicklung des Resonant Gate Transistors schuf Harvey C. Nathanson 1965 das erste MEMS Bauteil. Damit legte er einen wesentlichen Grundstein für die heutige Wearable-Technologie.

Es ist schwer, einen Algorithmus für Erfolg zu definieren“, meint Harvey C. Nathanson. Dennoch war er es – erfolgreich. Denn Nathanson, Jahrgang 1936, gilt als Erfinder des elektronischen Bauteils, ohne das heutige Wearables nicht realisierbar wären – des MEMS.

Wearables_Innovators_MEMS-2

Schon immer von Elektrik fasziniert

Nathansons Interesse galt schon immer der Elektrizität und den Transistoren. Als Kind experimentiert er mit Strom und Glühbirnen, wobei auch mal die eine oder andere Sicherung dran glauben musste. Von einem Bekannten, der ein Fan von Aufnahmetechniken war, lernte er viel über Röhren, Mikrofone und Hi-Fi-Systeme. Sein Hobby machte er schließlich zum Beruf: Er promovierte als Elektroingenieur am Carnegie Institute of Technology (der heutigen Carnegie Mellon Universität) und begann seine berufliche Karriere in den Forschungslabors von Westinghouse, genauer bei einer Forschungsgruppe, die die Westinghouse Electronic Systems Abteilung unterstützte und viel für den militärischen Bereich entwickelte. „Es hat sehr viel Spaß gemacht, mit den Ingenieuren in Baltimore zusammenzuarbeiten“, so Nathanson. „Sie waren führend im Bereich Radar und elektronische Gegenmaßnahmen und in die unterschiedlichsten Projekte involviert.“

Das Ziel – ein mechanischer Resonator

Er war gerade einmal 29 Jahre alt als er 1965 den Auftrag von seinem Chef Dr. William E. Newell erhielt, eine miniaturisierte Tuning-Methode für integrierte Schaltungen zu entwickeln. Bisherige Lösungen dazu waren weder besonders klein noch boten sie den gewünschten Qualtitätsfaktor. Ziel war es, einen mechanischen Resonator zu entwickeln. „Natürlich sollte die neue Lösung preiswert, mit den verfügbaren IC-Produktionstechnologien zu fertigen sein und auch noch über Input- und Output-Schaltkreise verfügen“, ergänzt Nathanson. „Wir suchten also einen Ersatz für die existierenden, großen LC-Schwingkreise mit niedrigem Qualitätsfaktor“, so Nathanson. „Zusammen mit Robert Wickstrom, der Techniker bei uns war, konnte ich den Resonant Gate Transistor erfinden, designen, demonstrieren, erste Patente anmelden und herstellen. Unsere MEMS waren die ersten integrierten Schaltkreise mit beweglichen mikroelektromechanischen Teilen.“

Lernen von dem Erfinder des MEMS

Ermöglicht hat diesen Erfolg die Bereitschaft des Militärs, ein ausreichendes Budget für die notwendigen Forschungen bereitzustellen. Ein wichtiger Rat von Harvey C. Nathanson an zukünftige Erfinder lautet daher: „Man sollte sich eine Branche suchen, bei der genug Geld vorhanden ist.“ Damit man entsprechende Quellen anzapfen kann, empfiehlt Nathanson zudem jedem Forscher, sich eine Reputation aufzubauen. Ganz wichtig für ihn sind dabei zum Beispiel Veröffentlichungen in entsprechenden Fachmedien. „Wenn man in seiner Branche respektiert wird, dann bekommt man auch die nötigen Gelder – auch vom Staat“, betont der Vater der MEMS. Ein Trackrecord, also die eigene persönliche Erfolgsgeschichte, schaffe Vertrauen bei potenziellen Geldgebern.
Doch Geld ist natürlich nicht alles. Gerade für jemanden, der wirklich neue Wege gehen will, so wie Nathanson damals bei der Erfindung des MEMS, ist der Blick über den Tellerrand unverzichtbar. Sein zweiter Rat an Forscher lautet daher, immer mehrere Fachmagazine zu lesen und sich über die Ergebnisse anderer Forschungsbereiche auf dem Laufenden zu halten. „Man erhält so viele ­Ideen und Inspirationen für seine eigene Arbeit. Oft liefern Forschungen aus ganz anderen Bereichen Lösungen, die man in seine Arbeit transferieren kann und die völlig neue Ansätze ermöglichen.“ Doch ein erfolgreiches Produkt benötigt mehr als nur eine gute Idee, es muss nachher auch einen Nutzen für den Anwender und Kunden bieten. Harvey C. Nathansons Ansatz: „Wenn man wirklich ein für den Anwender nützliches Ding entwickeln will, braucht man Partner.“ Er empfiehlt gerade Elektronikern und Physikern, mit Systemexperten zusammenzuarbeiten.

Wearables_Innovators_MEMS

Im Unruhestand

Zum Millionär hat ihn seine Erfindung zwar nicht gemacht, da er die MEMS als Angestellter von Westinghouse entwickelte. Aber es folgte eine spannende Karriere in der Elektronikbranche: Er wurde Chef-Wissenschaftler für Projekte rund um elektronische Bauteile in den Westinghouse Forschungslabors. Als solcher erfand er noch viele weitere innovative Lösungen für die Verteidigungstechnik von Westinghouse und Northrop, die die Forschungsgruppe später übernahm. „Meine Rolle bei der Erfindung der MEMS ermöglichte mir während meiner gesamten Karriere viele Freiheiten bei meinen Forschungen“, so Nathanson. Er war 2001 Mitbegründer der MEMS Industry Group – der heutigen MEMS & Sensor Industry Group – und ständiges Vorstandsmitglied. Auch heute noch ist er ihr als „Emeritus“ eng verbunden. 2001 schließlich verabschiedete sich Nathanson in den Ruhestand, zumindest teilweise: Bis 2012 war er weiterhin als Berater für Northrop Grumman tätig. „Der Ruhestand ist nichts für Memmen“, meint Nathanson mit einem Lachen – und ist daher auch heute, mit 79, noch eher im Unruhestand. Gerade beim Thema Halbleiter versucht er, auf dem Laufenden zu bleiben: „Ich interessiere mich zum Beispiel sehr für die mögliche Rolle, die neue ultrakleine Atomuhren bei der kohärenten Signalverarbeitung von RF-Signalen einnehmen können.“ Und Harvey C. Nathanson gibt seine Erfahrungen gerne weiter, steht jederzeit für die Diskussion neuer Ideen zur Verfügung. Allerdings: Auch wenn „seine“ MEMS mit den Wearables einen gänzlich neuen Technologiebereich ermöglicht haben, Nathanson sieht sich immer noch als „Sensor-Mann“ und nutzt keine Wearables – außer sein iPhone 6, auf das er nicht mehr verzichten möchte.

Weitere Artikel

  • Mit einem intelligenten Handschuh setzt das Start-up Workaround am meistgenutzten Werkzeug in der Industrie an: der Hand. So soll die Handarbeit schneller,…

  • In der Vernetzung von Fahrzeugen und Infrastruktur sieht die Auto­motive-Branche die Lösung der Verkehrs­probleme von morgen. Dadurch dass Autos ­miteinander und mit…

  • Die Vielfalt an Wearable-Lösungen für den Consumer-Bereich ist schier unüberschaubar. Wir stellen eine Auswahl spannender Wearables vor, die bereits auf dem Markt sind…