Schritt für Schritt zum autonomen Fahrzeug

Schon heute verfügen die meisten neuen Autos über gewisse automatisierte Fahrfunktionen. In Zukunft werden aber auch komplett selbstfahrende Fahrzeuge auf den Straßen unterwegs sein.

Im alltäglichen Verkehrschaos verspricht man sich große Vorteile von Fahrzeugen, die sich ohne Fahrer über die Straße, übers Wasser oder durch die Luft bewegen. „Autonome Fahrzeuge (AVs) bieten erhebliche Möglichkeiten, die Verkehrssicherheit zu verbessern und die Mobilität zu verändern, die Lieferketten anzukurbeln, Arbeitsplätze zu schaffen, die Gerechtigkeit zu erhöhen und die Emissionen zu reduzieren“, meint Ariel Wolf, Justiziar des Industrieverbands Autonomous Vehicle Industry Association (AVIA).

Der Wechsel hin zum vollständig autonom – also ohne jeden Eingriff eines Menschen – fahrenden Auto erfolgt dabei nicht in einem großen Schritt, sondern in mehreren Stufen. Die SAE International (Society of Automotive Engineers) hat dazu sechs Level definiert: Sie reichen von Level 0 (keine Automatisierung) bis hin zu Level 5 (fahrerloses Fahren).

Das Umfeld erfassen

Um das Fahren zu automatisieren, muss das Fahrzeug im ersten Schritt sein Umfeld erfassen können. Dazu werden die unterschiedlichsten Sensoren eingesetzt: „Jedes einzelne System hat seine Stärken, aber auch seine Schwächen“, erklärt Tim Freialdenhoven, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik FHR. Kameras erkennen Farben und Schriftarten, Radare erfassen Entfernung und Geschwindigkeit, und LiDAR erstellt hochpräzise 3D-Darstellungen der Umgebung. Ganz neu entwickelt wurden 4D-Radarsysteme, die ihre Umgebung in vier Dimensionen erfassen: Entfernung, Geschwindigkeit, Horizontalwinkel und jetzt auch zusätzlich die Höhe.

Jana Rosenmann, Leiterin der ZF-Division Elektronik und Advanced Driver Assist Systems (ADAS): „Mit seiner hohen Objekt- und Szenenerkennung und der großen Reichweite ist das Imaging-Radar eine wichtige Schlüsseltechnologie, welche die hohen Anforderungen des automatisierten Fahrens nach Level 3 und 4 zu einem wettbewerbsfähigen Preisniveau erfüllt.

“Das Level 4-Konzeptfahrzeug von Pony.ai, ein Unternehmen für autonomes Fahren, ist zum Beispiel mit 17 Sensorsystemen ausgerüstet, um einen 360-Grad-Sichtbereich von 200 Metern zu schaffen und tote Winkel um das Fahrzeug herum zu eliminieren. Damit trotz der zahlreichen Sensoren das Design nicht zu kurz kommt – und die vielen Sensorsysteme überhaupt Platz im Auto finden – haben sich fünf Fraunhofer-Institute zusammengetan, um Sensoren platzsparend und möglichst unauffällig in Fahrzeuge einzubauen. „Wir integrieren Radar- und LiDAR-Sensoren in die Scheinwerfer, die ja sowieso vorhanden sind und die ein Optimum an Transmission für optische Sensoren und Lichtquellen sowie für Verschmutzungsfreiheit garantieren“, erläutert Tim Freialdenhoven vom Fraunhofer FHR.

Erfasste Daten auswerten

Die über die Sensorik erfassten großen Datenmengen müssen echtzeitnah aufgenommen, fusioniert und analysiert werden – in der Regel mithilfe von künstlicher Intelligenz und Machine-Learning-Algorithmen. Dazu wird auf das Konzept des Edge Computings zurückgegriffen: Speicherung, Verarbeitung und Analyse von Daten erfolgen in unmittelbarer Nähe der Endgeräte. Dies kann verschiedene Level haben, smarte Sensoren filtern beispielsweise die von ihnen erfassten Daten, bevor sie diese dann an ein System-on-Chip im Fahrzeug weitergeben.

Hier werden die Daten verschiedener Sensoren fusioniert, um ein exaktes Abbild des Umfelds zu erlangen. Für komplexere Berechnungen werden die Daten an ein Mikro-Rechenzentrum in der Nähe der Straße übertragen. Das umfangreiche Antrainieren der KI erfolgt dann in großen, zentralen Rechenzentren. „Edge Computing ermöglicht es, Verzögerungen bei der Datenübertragung zu reduzieren und damit den Entscheidungsprozess oder den Betrieb von Anwendungen zu beschleunigen,” erklärt Wojciech Stramski, CEO von Beyond.pl, einem Betreiber von Rechenzentren und Anbieter von Cloud-Diensten.

53,6 Prozent durchschnittliches jährliches Wachstum des Marktes für autonome Fahrzeuge im Zeitraum 2022 bis 2030.

Quelle: Grand View Research

Kommunikation in Echtzeit

Neben der Verarbeitung der Daten ist auch eine Kommunikation zwischen dem Fahrzeug und seiner Umgebung in nahezu Echtzeit eine wichtige Voraussetzung für hochautomatisiertes Fahren. Hierfür bietet 5G die eine entscheidende Technologie. Der Mobilfunkstandard bietet sowohl die Verfügbarkeit als auch die garantierte Dienstgüte, die für das autonome Fahren erforderlich sind.

Die hohen Datenraten von 5G werden unter anderem dafür benötigt, um hochpräzise Navigationskarten an autonome Fahrzeuge zu übertragen. In Verbindung mit Edge-Rechenzentren wird die Datenverarbeitung im Netz noch schneller. Auf der A9 zwischen Nürnberg und München haben erste 5G-Tests bereits Latenzzeiten von weniger als 20 Millisekunden erreicht. Ein autonomes Fahrzeug mit einer Geschwindigkeit von 100 Kilometern pro Stunde hätte in dieser Zeit gerade einmal 60 Zentimeter zurückgelegt.

Bis zum autonomen Auto wird es noch dauern

Neben den Technologien sind aber auch entsprechende rechtliche Rahmenbedingungen für autonome Autos zwingend erforderlich. Bereits im Mai 2021 haben der Deutsche Bundestag und Bundesrat einem Gesetz zugestimmt, nach dem vollständig autonome Fahrzeuge in Deutschland grundsätzlich am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen können. Einer Verordnung, die die Straßenzulassung und die Betriebsbereiche detailliert regelt, hat der Bundesrat im Mai 2022 zugestimmt.

Damit war Deutschland der erste Staat weltweit, der Fahrzeuge ohne Fahrer aus der Forschung in den Alltag holte. Und so kann man mit etwas Glück tatsächlich schon hochautomatisiert fahrende Autos auf Deutschlands Straßen sehen: Mercedes bietet für die S-Klasse und den EQS als Sonderausstattung ein System für hochautomatisiertes Fahren gemäß Level 3. Damit kann der Fahrer bei hohem Verkehrsaufkommen oder Stausituationen auf geeigneten Autobahnabschnitten in Deutschland bis zu einer Geschwindigkeit von 60 Kilometern pro Stunde die Fahraufgabe unter bestimmten Bedingungen an das System übergeben. Bis das vollständig autonom fahrende Auto marktreif ist, wird es allerdings noch dauern: Laut einer Studie des Instituts Prognos werden wohl erst nach 2040 in größerer Zahl Autos angeboten, die völlig autonom von Tür zu Tür kommen, also auch auf Landstraßen keinen Fahrer mehr benötigen.

Automatisierungsgrad des Fahrens Grafik

 

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