Klimaneutralität nicht ohne negative Emissionen

Nur mit dem Ausbau erneuerbarer Energien lässt sich Klimaneutralität nicht erreichen. Eine Ergänzung durch Technologien muss erfolgen. Und zwar mit denen CO2 aus Abgasen oder der Atmosphäre abgeschieden, gespeichert und im besten Fall sogar genutzt werden kann.

Das Ziel der Klimaneutralität haben sich immer mehr Regierungen und Unternehmen auf ihre Fahnen geschrieben. Was ein Ausbau erneuerbarer Energien und eine Steigerung der Energieeffizienz mit sich bringen soll. Doch das alleine wird nicht reichen. Denn die rechtzeitige Erreichung der Ziele des Pariser Klimaabkommens wird ohne negative Emissionstechnologien nicht möglich sein. Laut der Internationalen Energieagentur IEA müssten mindestens 15 Prozent der notwendigen Emissionsminderungen durch Technologien zur CO2-Abscheidung, -Nutzung und -Speicherung (CCUS, Carbon Capture, Utilization and Storage) realisiert werden. Dies bedeutet eine fast 100fache Steigerung der CCUS-Kapazität bis 2050. Auch Dr. Carsten Rolle, Geschäftsführer vom Weltenergierat Deutschland, ist dieser Überzeugung. „Ohne die Integration von negativen Emissionen in Klimaschutzstrategien werden die Pariser Klimaziele nicht erreichbar sein. Umso drängender ist es für Politik und Gesellschaft, deren Weiterentwicklung und Anwendung zu diskutieren und zu fördern.“

Gleichgewicht zu unvermeidbaren Emissionen

Die im Pariser Klimaabkommen verankerte Klimaneutralität bedeutet, dass ein Gleichgewicht zwischen dem Ausstoß der vom Menschen verursachten Treibhausgasemissionen auf der einen und dem Abbau der Gase durch Senken auf der anderen Seite erreicht wird. Genau für dieses Senken braucht es negative Emissionstechnologien. Denn trotz aller Fortschritte beim Ausbau erneuerbarer Energien und bei der Reduzierung des Energieverbrauchs wird es auch in Zukunft Treibhausgasemissionen geben. Solche, die kaum oder nur mit einem sehr hohen Kostenaufwand vermieden werden können. Hierdurch entsteht der Bedarf an negativen Emissionen, die der Atmosphäre entzogen werden müssen. Hinzu kommt der Bedarf an Kompensation der Emissionen, die durch Zeitverzug in den Klimaschutzbemühungen entstehen. „Je später das Ziel einer vollständigen Vermeidung aller anthropogenen Emissionen erreicht ist, desto höher wird später der Bedarf an negativen Emissionstechnologien beziehungsweise Senken sein“, erklärt Carsten Rolle.

Langfristige Speicherung unter der Erde

Die Abscheidung von Kohlenstoff wird schon seit Jahrzehnten zur Verbesserung der Qualität von Erdgas eingesetzt. Neue Technologien speichert CO2 jetzt auch langfristig. Wie zum Beispiel auf Island. Das Schweizer Unternehmen Climeworks errichtet dort die weltweit größte Direct Air Capture and Storage-Anlage zur Versteinerung von atmosphärischem CO2. Dabei wird Kohlenstoffdioxid der Umgebungsluft entzogen und CO2-freie Luft zurück in die Atmosphäre abgegeben. Das aus der Luft gefilterte CO2 wird unter die Erdoberfläche transportiert. Dort reagiert es durch natürliche Prozesse mit dem Basaltgestein und verwandelt sich über einen Zeitraum von mehreren Jahren selbst zu Carbonaten. Das heißt mineralisiert. Was Kohlenstoffdioxid so dauerhaft aus der Atmosphäre entfernt. Die Anlage wird nonstop in Betrieb sein und pro Jahr 4.000 Tonnen Kohlenstoffdioxid aus der Atmosphäre filtern.

Gerade bei den Grundstoffindustrien und besonders in der Zementindustrie bietet die Abscheidung und Speicherung von CO2 einen Ausweg. So soll im norwegischen Zementwerk Brevik von Heidelberg Cement ab 2024 eine Anlage jährlich 400.000 Tonnen CO2 abscheiden. Das dann dauerhaft eingelagert werden soll. Ziel ist eine Verringerung der CO2-Emissionen des im Werk produzierten Zements um 50 Prozent.

Vom Klimagas zum Rohstoff

Doch die dauerhafte Speicherung des Kohlendioxids ist nur eine Möglichkeit. Noch spannender ist es, dem „Abfallprodukt“ einen Wert zu verleihen und das CO2 in marktfähige industrielle und kommerzielle Produkte umzuwandeln. Denn CO2 ist ein vielseitiges Molekül, das chemisch in eine Vielzahl von Produkten umgewandelt werden kann, darunter Kraftstoffe, Chemikalien, Baumaterialien und Polymere. So hat zum Beispiel das Unternehmen Covestro eine Technologie entwickelt, die CO2 als Rohstoff für nachhaltige Kunststoffe nutzt. „Die Kunststoffindustrie kann mit der Umstellung auf eine treibhausgasneutrale Produktion zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen. Dafür müssen wir vom Erdöl wegkommen und alternative Rohstoffe wie CO2 nutzen“, sagt Dr. Markus Steilemann, Vorstandsvorsitzender von Covestro.

Das Verfahren verwendet chemische Katalysatoren, um Reaktionen zwischen CO2 und einem herkömmlichen Rohstoff anzutreiben. Dabei entstehen sogenannte Polymere auf nachhaltigere und wirtschaftlich tragfähige Weise. Allerdings ersetzt dieses Verfahren nur ein Teil des Erdöls. Doch es entstehen besser wiederverwertbare Kunststoffe, deren Bestandteile leichter recycelt werden könnten. Der auf CO2 basierende Rohstoff wird bereits zur Herstellung von weichem Schaumstoff für Matratzen, für Kleber in Sportböden, Polsterungen in Schuhen und in Autoinnenräumen eingesetzt. An der Schwelle zur Marktreife stehen elastische Textilfasern. Forschungsprojekte haben gezeigt, dass sich CO2 auch für Dämmstoffe aus Hartschaum und für Tenside, zum Beispiel in Waschmitteln, nutzen lässt. So wird aus dem schädlichen Klimagas ein wertvoller Rohstoff – und ein weiterer nachhaltiger Schritt zur Klimaneutralität gemacht.

 

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