Digitalisierung: Jobkiller oder Jobmotor

Digitalisierung in der Arbeitswelt – Werden Roboter den Menschen arbeitslos machen oder werden sie im Gegenteil für neue Jobs sorgen? Das Thema ist unter ­Experten umstritten – wir haben die verschiedenen Meinungen ­einmal gegenübergestellt.

„Der Einzug von Robotern wird große Teile unserer Arbeitswelt auf den Kopf stellen“, betont Dr. Martin Sonnenschein, Partner und Europachef bei A.T. Kearney. „In 20 Jahren wird fast die Hälfte der heutigen Arbeitsplätze in Deutschland durch Roboter ersetzt werden, die die Jobs effizienter erledigen können.“ Das sagte Dr. Sonnenschein bereits Ende 2015 bei der Präsentation einer Studie, die die Unternehmensberatung im Rahmen ihrer Gesellschaftsinitiative „Deutschland 2064 – die Welt unserer Kinder“ erstellt hat. Nach A.T. Kearneys Analysen weisen in Deutschland über 300 und damit ein Viertel aller Jobprofile ein hohes Automatisierungsrisiko in den nächsten beiden Jahrzehnten auf. Der mögliche Effekt für den Arbeitsmarkt ist drastisch, weil in diesen Bereichen 17,2 Millionen Männer und Frauen beschäftigt sind – das sind 45 Prozent aller Beschäftigten. Allerdings entfällt auch ein Beruf mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit nicht zwangsläufig vollständig.
Eine im gleichen Zeitraum erschienene Studie der Bank Ing-Diba wird konkret: Demnach sind 18,3 Millionen Arbeitsplätze alleine in Deutschland durch die fortschreitende Technologisierung bedroht. Beide Studien transferieren die Methode, die Ökonom Carl Benedikt Frey und der Ingenieur Michael Osborne 2013 für den US-amerikanischen Markt genutzt haben, auf Deutschland. Nach Frey und Osborne werden demnach 47 Prozent der Arbeitsplätze in den USA mit hoher Wahrscheinlichkeit „robotisiert“. Die Weltbank berechnete mit dieser Methode auch die Aussichten für Indien und China: Danach wären in Indien 69 Prozent aller Jobs bedroht, in China sogar 77 Prozent.
Besonders Niedriglohn-Jobs sind betroffen: Laut dem „Economic Report 2016“, der vom Council of Economic Advisers (CEA) herausgegeben wurde, laufen sie zu 83 Prozent Gefahr, langfristig von Robotern mit Künstlicher Intelligenz ersetzt zu werden. Doch nicht nur der einfache Arbeiter muss sich sorgen machen: Laut den Marktanalysten von Gartner werden schon in 2018 mehr als 3 Millionen Arbeiter weltweit von „Robo-Bossen“ beaufsichtigt. Das sind nicht Roboter im herkömmlichen Sinne, sondern Software-Systeme, die die Leistungsdaten der Mitarbeiter messen und überwachen – besser und genauer, als es ein menschlicher Manager könnte.
Eines steht fest: Die Automatisierung wird einen großen Einfluss auf die Arbeitswelt haben. „Das fordert uns viel Veränderungsbereitschaft und Flexibilität ab“, so A.T. Kearney-Europachef Dr. Martin Sonnenschein. „Wer sie aufbringt, kann von diesem drastischen Wandel aber auch profitieren – als Arbeitnehmer und als Arbeitgeber. Wir können abwarten und uns von der Automatisierung überrollen lassen. Oder wir können uns mit Mut zu Wandel und Veränderung darauf einlassen – und flexibel und neugierig nach den neuen Möglichkeiten suchen, die sich daraus ergeben.“

Der Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau sieht in den von der Ing-Diba prognostizierten Jobverlusten eine klare Fehleinschätzung: Die Studie überschätze das Potenzial von zum Beispiel Kochrobotern, humanoiden Hotelrobotern und Paketauslieferungs-Drohnen. Auch eine Studie im Auftrag des Bundesarbeitsministeriums widerspricht den Aussagen der Ing-Diba: Nach Überprüfung des Automatisierungspotenzials von Tätigkeiten – anstatt von Berufen – weisen nicht mehr als zwölf Prozent der Arbeitsplätze ein Profil mit hoher Automatisierungswahrscheinlichkeit auf. Dass die Sorgen, Roboter würden Menschen die Arbeitsplätze wegnehmen, unbegründet sind, zeigt sich zum Beispiel in der deutschen Automobilindustrie: Hier wurde der Bestand an Industrierobotern in Deutschland von 2010 bis 2014 um 15 Prozent auf 92.000 Einheiten ausgeweitet. Im selben Zeitraum erhöhte sich die Zahl der Beschäftigten um zehn Prozent auf 775.000. Mit den jetzt auf den Markt kommenden kollaborativen Robotern würden sich zusätzlich viele neue Einsatzmöglichkeiten erschließen. Auch die Boston Consulting Group sieht die Automatisierung positiv. Denn es verschwinden zwar einige Tätigkeitsprofile, doch dafür entstehen auch wieder völlig neue. Einem Jobverlust von rund 610.000 Jobs stehen nach Berechnungen der Marktexperten rund eine Million Jobs gegenüber, die bis 2025 entstehen könnten. „Neue Technologien wie Augmented Reality oder robotergestützte Arbeitsplätze können sogar dazu beitragen, dass gering qualifizierte Arbeitnehmer wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können“, so Markus Lorenz, BCG-Partner und Experte für Industrie 4.0.

610.000 Arbeitsplätze fallen in Deutschland durch Digitalisierung weg

1 Million neue Arbeitsplätze entstehen dank Automatisierung

Den Arbeitnehmern, zumindest in Deutschland, sind die Veränderungen der Arbeitswelt bewusst. Statt darin jedoch eine Bedrohung für ihren Job zu sehen, haben die Beschäftigten vor allem die Vorteile solcher Technologien im Arbeitsalltag im Blick. Das zeigt eine zum Weltwirtschaftsforum in Davos Anfang 2017 veröffentlichte Studie von Accenture Strategy. Dennoch mahnt Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture in Deutschland, Österreich und der Schweiz: „Der digitale Wandel kann nur gelingen, wenn Unternehmen stärker als bisher in den Aufbau neuer Kompetenzen und zusätzlicher Qualifikationen in der Belegschaft investieren. Dabei geht es weniger darum, die Beschäftigten auf neue Berufe umzuschulen, sondern ihnen kontinuierlich die nötigen Kompetenzen für den Umgang mit neuen Technologien zu vermitteln. Die Digitalisierung führt unterm Strich nicht zu einem Verlust von Arbeitsplätzen, sie stellt aber neue Anforderungen an die Arbeitnehmer. Die Bedeutung der ständigen Weiterqualifizierung am Arbeitsplatz wird stark zunehmen, nicht zuletzt, da die Halbwertszeit unseres Wissens angesichts der rasanten technologischen Entwicklungen immer kürzer wird.“

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