KI-Pionier Minsky: Vorläufig tot?

Das Gehirn funktioniert wie eine Maschine, so die ­These von einem der wichtigsten Pioniere der ­Künstlichen Intelligenz. Also kann man es nach­bauen – und sich durch ein Back-up des Bewusstseins auf einem Rechner unsterblich machen.

Könnte unser gesamtes Leben nur eine Computer-Simulation, ähnlich der Matrix aus dem gleichnamigen Hollywood-Blockbuster sein? Laut KI-Pionier Marvin Minsky wäre das durchaus denkbar: „Es ist gut möglich, dass wir Produkte irgendwelcher sehr leistungsstarken, komplizierten Programme sind, die auf einem großen Computer irgendwo da draußen laufen. Und es gibt absolut keinen Weg, das von dem zu unterscheiden, was wir Realität nennen.“ Derartige Gedanken waren typisch für den Mathematiker, Kognitions-Forscher, Computer-Ingenieur und großen Pionier der Künstlichen Intelligenz. Minsky verband wie kaum ein anderer Naturwissenschaften und Philosophie, stellte konventionelle Ansichten in Frage – das alles aber immer mit einem ausgeprägten Sinn für Humor:

„Es wurde noch nie ein Computer designet, der sich jemals bewusst über sein Tun war; aber die meiste Zeit sind wir uns das auch nicht.“

Minsky, 1927 in New York geboren, studierte Mathematik in Harvard und promovierte in Princeton. Mit kaum 20 Jahren begann er, sich für das Thema Intelligenz zu interessieren: „Genetik erschien recht interessant, weil noch niemand wusste, wie es funktioniert“, erinnerte sich Minsky in einem 1981 im „New Yorker“ erschienenen Artikel an jene Zeit. „Aber ich war nicht sicher, ob das profund war. Die Probleme der Physik erschienen profund und lösbar. Es wäre vielleicht nett gewesen, sich mit Physik zu beschäftigen. Aber viel tiefsinniger schien das Problem der Intelligenz. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen größeren Wert in etwas anderem gesehen zu haben.“

Viele dumme Teile ergeben eine große Intelligenz

Schon damals, als blutjunger Wissenschaftler, legte er den Grundstein für eine revolutionäre These, die er während seiner Zeit am Massachusetts Institute of Technology (MIT) ausweitete und die ihn schließlich zum Pionier der Künstlichen Intelligenz werden ließ: Minsky hatte die Vorstellung, dass das Gehirn wie eine Maschine funktioniert und dass man es daher prinzipiell auch in einer Maschine nachbilden kann. „Das Gehirn ist eine Maschine aus Fleisch“, so eine seine vielzitierten Aussagen. „Man kann einen Verstand aus vielen kleinen Teilen aufbauen, von denen jedes für sich ohne Intelligenz ist.“ Marvin Minsky war überzeugt, dass man ein Bewusstsein in viele Teile zerlegen kann. Sein Ziel war es, solche Komponenten des Geistes zu erkennen und zu verstehen. Minskys Vorstellung, dass der Geist aus dem Zusammenspiel vieler einzelner Agenten hervorgeht, ist die Grundlage heutiger neuronaler Netze.

Zusammen mit seinem Princetoner Kommilitonen John McCarthy entwickelte er die These weiter und gab der neuen wissenschaftlichen Disziplin auf der Dartmouth Konferenz 1956 einen Namen: „Künstliche Intelligenz“. Zusammen gründeten McCarthy und Minsky drei Jahre später das MIT Artificial Intelligence Laboratory – von da an das weltweit wichtigste Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. Viele der dort entwickelten Ideen wurden später im Silicon Valley aufgegriffen und in kommerzielle Anwendungen überführt.

KI-Pionier Minsky verantwortlich für Forschungspause

Interessant ist, dass der Pionier der Künstlichen Intelligenz dafür verantwortlich war, dass die Forschung daran über viele Jahre nicht weiterverfolgt wurde: Minsky hatte in den 1960ern selbst mit neuronalen Netzen experimentiert, ihnen aber in seinem Buch „Perceptrons“ abgeschworen: Zusammen mit seinem Co-Autor Seymour Papert zeigte er die Beschränkungen dieser Netze auf – und brachte damit die Forschung auf diesem Gebiet für Jahrzehnte zum Erliegen. Heute gelten die meisten dieser Beschränkungen als überwunden, neuronale Netze sind aktuell eine Kerntechnologie für KI.

Die Forschung an der KI war aber bei weitem nicht das einzige Arbeitsgebiet von Marvin Minsky. Sein Artificial Intelligence Laboratory gilt auch als die Geburtsstätte für die Idee, dass digitale Informationen frei verfügbar sein sollten – woraus später die Open-Source-Philosophie entstand. Auch zur Entwicklung des Internets trug das Institut bei. Minsky interessierte sich darüber hinaus für Robotik, maschinelles Sehen und Mikroskopie – seine Erfindungen auf diesem Gebiet werden heute noch genutzt.

Probleme der Menschheit könnten gelöst werden

Minsky sah die aktuellen Entwicklungen der KI durchaus kritisch, sie konzentrierten sich für ihn zu wenig auf die Schaffung einer wahren Intelligenz. Im Gegensatz zu alarmistischen Warnungen einiger Experten, dass intelligente Maschinen in gar nicht so ferner Zukunft die Herrschaft übernehmen würden, vertrat Minsky zuletzt eine eher philosophische Sicht auf die Zukunft: Maschinen, die echtes Denken beherrschen, könnten Wege aufzeigen, einige der größten Probleme der Menschheit zu lösen. Im Hintergedanken hatte er dabei vielleicht auch den Tod: Er prophezeite, dass Menschen sich unsterblich machen könnten, indem sie ihr Bewusstsein vom Gehirn auf Chips übertragen. „In diesem Sinne wären wir dann unsterblich“, so Minsky. Wenn man alt wird, macht man einfach ein Back-up seines Wissens und seiner Erfahrungen auf einem Computer. „Ich glaube, in hundert Jahren werden die Menschen dazu in der Lage sein.“

Marvin Minsky nur vorläufig tot?

Marvin Minsky starb im Januar 2016 im Alter von 88 Jahren. Wobei – vielleicht nur vorläufig: Kurz vor seinem Tod unterschrieb er einen offenen Brief zur Kryonik – dem Einfrieren von Menschen kurz nach ihrem Tod, in der Hoffnung, mit Technologien der Zukunft wieder zum Leben erweckt werden zu können. Außerdem war er Mitglied des wissenschaftlichen Beirats der Kryonik-Firma Alcor. Es ist also gut möglich, dass Minskys Gehirn schockgefroren darauf wartet, in unbestimmter Zukunft als Back-up auf einem Computer zu neuem Leben erweckt zu werden. 

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