Interview mit Dr. Christoph Ballin, Gründer von Torqeedo

Interview mit Dr. Christoph Ballin, Gründer und Geschäftsführer von Torqeedo, über die Zukunft der Mobilität auf dem Wasser. Alles begann mit einem kleinen Bootshaus am Starnberger See: Als der studierte Betriebswirtschaftler und ehemalige McKinsey-Berater Dr. Christoph Ballin seinen neuen Job als Geschäftsführer bei Gardena annahm, zog er in das Münchner Umland. 

Per Zufall ist Dr. Christoph Ballin zu einem Ferienhaus mit besagtem Bootshaus gekommen. Es befand sich an einem Kanal, über den man in den Starnberger See gelangen konnte. Da lag es nahe, die neue Umgebung mit einem Boot zu erkunden. Eigentlich stellte sich Ballin ein schnittiges Motorboot vor. Jedoch musste er dann aber realisieren, dass der Betrieb von Verbrennungsmotoren auf dem Starnberger See stark reguliert ist. Also kaufte er ein kleines Holzboot, renovierte es und „tackerte“, wie er sagt, einen damals üblichen Elektroantrieb an das Boot. Doch als Friedrich Böbel, damals Technikvorstand bei Gardena, Ballin zum Tee besuchte, meinte er nur: „Alles alte Technik, das kann man heute besser machen.“ Gesagt, getan. Beide gründeten 2005 Torqeedo und sind heute weltweiter Marktführer für Elektromobilität auf dem Wasser.

Was machte Sie so sicher, ihre lukrativen Jobs aufzugeben und ein Startup für Boots-Elektromotoren aufzubauen?

Dr. Christoph Ballin: Wir hatten einfach das Gefühl, dass wir das beste Produkt auf dem Markt bauen könnten. Wenn man als Marktaußenseiter sowas denkt, ist es ja meist eher so, dass man was übersehen hat. Aber wir waren uns wirklich sicher. Zum anderen waren wir überzeugt, dass die elektrische Mobilität in der Zukunft nur wichtiger werden kann. Denn auch wenn man damals noch nicht von Elektromobilität und CleanTech gesprochen hat, waren die zu Grunde liegenden Treiber schon genauso bekannt wie heute. Wie zum Beispiel die stetig wachsende Weltbevölkerung, Verdoppelung der globalen Mittelschicht in einer Dekade, Global Warming, Luftverschmutzung in den Städten usw.

Wie war denn der Stand der Technik damals?

C. B.: Das war eine andere Welt. Elektrische Bootsantriebe wurden eigentlich nur für regulierte Gewässer gebaut. Ein sehr kleiner Markt, für den es keine industriell hergestellten Produkte gab. Als Batterien wurden meist Blei-Gel- oder AGM-Systeme eingesetzt. Heute verwenden wir in den Torqeedo-Systemen Lithium-Batterie-Technik. Zum Vergleich: In meinem ersten Boot hatte ich eine Batteriebank von vier Kilowattstunden. Jetzt habe ich eine von 40 Kilowattstunden …

Dennoch – war die Entscheidung, ihre sicheren Jobs aufzugeben, nicht sehr mutig?

C. B.: Am Ende war es nicht so mutig. Wir haben nur das Geld ins Unternehmen gesteckt, das wir bis dahin verdient hatten. Daher haben wir uns auch nicht groß verschuldet. Schlimmstenfalls wären nur unsere Ersparnisse weg gewesen und wir hätten uns halt nach drei Jahren wieder einen neuen Job suchen müssen. Natürlich sind wir mit unserem eigenen Geld nicht weit gekommen. Wir mussten relativ schnell über Angel-Investoren und Venture-Capitalists weiteres Kapital für Torqeedo einsammeln. Dabei hatten wir starke Gesellschafter, die uns geholfen haben, das Unternehmen vernünftig zu finanzieren und zu dem zu machen, was es heute ist.

Was verstehen Sie unter starken Gesellschaftern?

C. B.: Nun, einerseits natürlich finanziell stark. Elektromobilität ist ein Thema für Menschen mit langem Atem. Man braucht Investoren, die auch durchhalten, wenn es mal ein paar Monate schwierig läuft. Denn eine Startup-Entwicklung verläuft häufig ein bisschen holprig, auch dann muss ein Investor Kurs halten.

Was macht für Sie überhaupt den Reiz des Elektroantriebs bei Booten aus?

C. B.: Wir definieren die Zukunft der Mobilität auf dem Wasser – das ist es, worum es bei Torqeedo geht. Der Boating-Lifestyle ist in seinen verschiedenen Facetten eine Bereicherung für viele Menschen. Wenn wir diesen Lifestyle für zukünftige Generationen bewahren wollen, müssen wir das anders bewerkstelligen als in der Vergangenheit. Und wir sind die Speerspitze, die zeigt, wie es geht. Das ist der große Reiz an dem, was wir tun.

Reicht der NaturschutzGedanke, um Bootsbesitzer von ihren elektrischen Antrieben zu überzeugen?

C. B.: Nur weil ein Antrieb umweltfreundlicher ist, kauft ihn kein Mensch. Ich brauche immer einen zusätzlichen Aspekt, in dem das elektrische System besser ist als der Verbrenner. Dass es dann obendrauf auch noch umweltfreundlicher ist, das macht es dann zum Gewinner. Die Vorteile von Elektroantrieben sind dabei in jedem Segment anders: Die Motoren für kleine Day-Sailor oder Beiboote sind heute schon elektrisch, weil sie in jeder Dimension besser sind als Verbrenner. Sie sind kleiner, leichter, einfacher zu bedienen, komfortabler – und dann sind sie auch noch umweltfreundlicher. Daher werden sie in diesem Segment extrem gut verkauft. Oder nehmen sie den Bereich der Rennsegler. Hier werden Elektroantriebe gebraucht, um raus zur Regatta-Strecke zu fahren. Und dabei sind sie im Vergleich zu Verbrennern wesentlich leichter und beeinflussen die Segelperformance viel weniger.

Wie sieht es denn im Bereich des gewerblichen Einsatzes aus?

C. B.: Das Segment Fähren und Taxis ist für uns ein Kernsegment. Hier können wir mit zwei Argumenten punkten: Zum einen ist die Vermeidung bzw. Reduzierung von Luftverschmutzung in allen Städten der Welt ein Thema. Zum anderen sind Elektroantriebe in diesen Applikationen deutlich günstiger in den Total Cost of Ownership, den Gesamtkosten. Denn Taxen und Fähren werden intensiv genutzt, und das immer entlang eines vordefinierten Duty-Cycles. Perfekt für Elektromobilität – man hat zwar höhere Anfangsinvestments als beim Verbrennungsmotor, aber dafür niedrigere Kosten pro Betriebsstunde. So rechnet sich Elektromobilität immer dann, wenn besonders viel gefahren wird. Typischerweise ist der Break-even nach drei, vier Jahren erreicht.

Was sagen „alte Seebären“ zu elektrischen Antrieben?

C. B.: Grundsätzlich reagieren mittlerweile die meisten Leute sehr positiv. Auch wenn wir zurzeit noch nicht für alle Segmente tolle Produkte anbieten können. Unser Fokus ist es daher immer, die Segmente zu finden und zu bedienen, in denen Elektromobilität heute überlegen ist. Und dort sind die Reaktionen entsprechend positiv.

„Bevor Torqeedo auf den Markt kam, hat niemand über den Gesamtwirkungsgrad eines Bootsantriebes gesprochen.“

Dr. Christoph Ballin, Gründer und Geschäftsführer Torqeedo

Wie ausgereift ist die Technik heute?

C. B.: Bei der Batterietechnik fahren wir insbesondere bei den großen Leistungsklassen im Windschatten der Automobilindustrie. Durch die Kooperation mit BMW haben wir den Stand der Technik der Automotive-Branche für unsere Boote verfügbar gemacht. Wir sind, was die Batterietechnik anbelangt, auf dem gleichen Stand. Bei der Motortechnik verwenden wir ein wenig andere Motorenkonzepte, da Bootsmotoren anders ausgelegt sein müssen. Aber natürlich sind Komponenten aus der Automobilindustrie verfügbar mit tollen Qualitäten und zu guten Kosten, die wir in der Bootsbranche gut verwenden können.

Nun wird ja auch bei Großschiffen an Elektroantrieben geforscht. Wie sehen sie die Entwicklung dort?

C. B.: Elektroantriebe, bei denen die Energie über Batterien zur Verfügung gestellt wird, sind eigentlich nur etwas für vergleichsweise kurze Strecken und kleinere Leistungen. Fähren, die über einen Fjord fahren und an beiden Haltepunkten wieder geladen werden – das sind Anwendungen, die sich auch bei großen Schiffen sehr gut realisieren lassen. Wie sich weite Strecken klimaneutral überwinden lassen, das ist ein anderes Thema. Da ist man dann wahrscheinlich bei Wasserstoff oder Bio-Fuels.

Was ist das Besondere an den Torqeedo-Antrieben?

C. B.: Wir verwenden von Anfang an nur bürstenlose Motoren und setzen ausschließlich Lithium-Batterietechnik ein. Dann ist das Drive-Train-Engineering ein zentrales Thema bei uns: Wir betrachten den kompletten Antriebsstrang und optimieren den Gesamtwirkungsgrad von Motor, Motorelektronik, Getriebe und Propeller. Bevor Torqeedo auf den Markt kam, hat niemand über den Gesamtwirkungsgrad gesprochen oder auf die Vortriebsleistung geschaut. Bei kleinen Außenbord-Verbrennungsmotoren sind daher noch heute Gesamtwirkungsgrade von unter zehn Prozent absolut typisch. Wir erreichen dagegen Gesamtwirkungsgrade von 44 bis 56 Prozent.

Das Zweite, was uns besonders macht: Wir entwickeln vollständig integrierte Antriebssysteme. Vom Propeller bis zum Steuerstand. Denn je komplizierter die Systeme werden, desto besser müssen alle Komponenten aufeinander abgestimmt sein und miteinander kommunizieren können.

Welche Rolle spielt die Digitalisierung in der Antriebstechnik dabei für Sie?

C. B.: Generell ist die Digitalisierung im Boot ein Riesenthema. Unsere Kunden wollen genauso über die Bootssysteme informiert sein und sie aus der Ferne überwachen, wie es heute auch schon beim Auto oder ihrem Zuhause möglich ist. Unsere Blue-Hybrid-Antriebe für Fähren oder Segelyachten haben einen Software-Anteil, der in der Entwicklung sicher über die Hälfte der Entwicklungsressourcen benötigt. Das ermöglicht ein flexibles und modulares System. Die Komponenten kann ich dann wie Lego-Bausteine in unterschiedlichen Konfigurationen einsetzen. Da die Systeme rund um die Welt benutzt werden, sind natürlich auch Themen wie Remote Monitoring, Remote Softwareupdates und Ferndiagnosen relevant.

Ermöglicht diese Digitalisierung und Vernetzung denn auch neue Geschäftsmodelle für Sie?

C. B.: Ja, die gibt es. Allerdings ist das noch kein wirkliches Geschäftsfeld. Service und Wartung für elektrische Fahrzeuge ist insgesamt weniger aufwändig als für Verbrenner. Insofern haben derartige Services für uns nicht so ein Umsatzpotenzial wie für Verbrennungsmotoren-Hersteller.

Also habt ihr nicht vor, das Vertriebsmodell zu ändern und die Motoren nicht mehr zu verkaufen? Wie zum Beispiel sich nur noch den Vortrieb bezahlen zu lassen?

C. B.: Das war tatsächlich mal eine Überlegung. Will man das aber machen, muss man sich auch als Finanzier verstehen. Was wir im Moment nicht machen. Aber es ist absolut auf unserem Radarschirm und wird auch von den Kunden nachgefragt. Gerade weil ich für die Elektromobilität höhere Anfangsinvestments und niedrige Betriebskosten habe, sind Leasing oder andere alternative Finanzierungsformen ein logischer Schritt.

Da könnte ja auch ihre neue Muttergesellschaft ins Spiel kommen. Was waren die Gründe, Deutz mit ins Boot zu holen?

C. B.: Wir haben das Unternehmen erst mit eigenem Geld aufgebaut. Ende 2006 haben wir das erste Mal Angel-Investoren reingeholt, 2009 dann Venture-Capital. Einen Verkauf an ein größeres Industrieunternehmen oder einen Börsengang hatten wir daher immer im Hinterkopf. Mit einem Industrieunternehmen wie Deutz sind wir jetzt Teil eines größeren und mächtigeren Ökosystems, worüber ich glücklich bin.

Und warum hat Deutz sich für Torqeedo interessiert?

C.B.: In den Segmenten, in denen Deutz tätig ist, also Bau- und Landmaschinen, gibt es eigentlich zurzeit keine Elektromobilität. Doch auch hier wird sie kommen. Dabei wollte Deutz eine führende Rolle einnehmen. Um da die Fast-Forward-Taste zu drücken, hat Deutz ein Unternehmen gesucht, welches bei den relevantesten Themen bereits Erfahrung hat. Und zwar auf der einen Seite alle Aspekte von Elektromobilität kann und auf der anderen Seite bereits Erfahrungen in Sachen Supply-Chain, Markt und Service hat. Da bleiben in Europa nicht viele Firmen übrig…

Unser Team arbeitet jetzt mit dem Deutz-Team zusammen, um Elektromobilitäts-Lösungen auch für die Deutz-Segmente anzubieten. Ein paar Prototypen wurden schon präsentiert. Zusätzlich ist Deutz jetzt die industrielle Mutter für Torqeedo. Das bietet gewisse Vorteile in Richtung Industrialisierung. Aber auch langfristig bezüglich gemeinsam genutzter Komponenten, die dann sowohl im Construction-Equipment, als auch im Boot verwendet werden können.

Oftmals wird der Elektroantrieb als eine Brückentechnologie bezeichnet – wie sehen Sie das?

C.B.: Mobilität muss klimaneutral werden. Wenn man das einmal akzeptiert, dann kann man überlegen, wie das geht. Da müssen noch Antworten auf einige Fragen gefunden werden: Die Energie muss klimaneutral erzeugt werden. Es muss geklärt werden, wie man die Energie zu den Verbrauchern bekommt. Hierbei könnte Wasserstoff ein interessanter Energieträger werden.

Dennoch ist Elektromobilität keine Übergangstechnologie, sondern ich sehe sie als einen Baustein für eine klimaneutrale Mobilität. Für Torqeedo ist es dabei ganz egal, ob die Energie aus Lithium-Batterien stammt oder aus einer Wasserstoff-Brennstoffzelle. Wichtig ist nur, dass jedes neue Produkt ein wenig sauberer ist als das, was es ersetzt. Damit wir Schritt für Schritt das Ziel einer in der Summe klimaneutralen Mobilität erreichen.

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