Superkräfte für alle!

In wenigen Jahren werden Wearables selbstverständlich sein und uns in unserem alltäglichen Leben nachhaltig unterstützen. Das ist die einhellige Meinung der Teilnehmer des Round-­Tables. Dafür wird der Nutzen der tragbaren Elektronik verstärkt in den Vordergrund treten – Wearables sammeln nicht einfach nur Daten, sondern schaffen durch die Verbindung mit der Cloud einen echten Mehrwert.

Fitnessarmbänder, Smartwatches, intelligente Kopfhörer, Broschen mit integrierter Elektronik – es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein neues Wearable in die Geschäfte kommt oder eine neue Wearable-Firma auf dem Markt auftaucht. Man könnte sich erinnert fühlen an die Dotcom-Blase von vor 16 Jahren. Nicht ganz zu Unrecht, wie Johannes Kreuzer, CEO des Wearable-Start-ups Cosinuss, meint: „Wir erleben durchaus gerade einen Hype, vieles wird gemacht, einfach nur, weil man es machen kann. Aber ich glaube, dass sich nach diesem Hype die Entwicklungen kanalisieren werden und Wearables auf den Markt kommen, die wirklich einen Mehrwert für den Nutzer bringen.“ Wie auch das von ihm entwickelte Wearable, mit dem insbesondere Sportler unter anderem Herzfrequenz und Herzratenvariabilität und erstmals auch die Körpertemperatur in Bewegung präzise messen können. Christian Stammel, CEO und Gründer der Wearables Technologie AG wird noch präziser: „Bei den Fitnessarmbändern können wir durchaus von einem Hype sprechen, doch der flaut bereits wieder etwas ab. Jetzt kommen die Smartwatches mit integrierter Fitness-Tracker-Funktion. Darüber hinaus erwarten wir, dass in 2020 ein Drittel aller Wearables intelligente Patches, also Pflaster mit integrierter Elektronik, sein werden. Bereits heute werden smarte Pflaster für die Messung des Insulinspiegels im Gesundheitsmarkt vertrieben. Wir haben also keinen einzelnen Hype, sondern viele kleine Hypes innerhalb der gesamten Wachstumskurve der Wearable Technologies.“ Stammel sieht Wearables als einen Teil der grundsätzlichen Bewegung zum Internet der Dinge. „Das Internet der Dinge ist in keiner Weise ein Hype. Es ist eine logische Fortentwicklung des Themas Internet, das die Industrie genauso wie jeden anderen Lebensbereich nachhaltig verändern wird.“

Die Elektronikkomponenten sind entwickelt

Einen wesentlichen Grund für das rasante Wachstum im Wearable-Bereich sieht Markus Strecker, CEO von Teiimo, in der Elektronik: „In den letzten Jahren sind viele Entwicklungen im MEMS-Bereich erfolgt, so dass sie heute sehr kostengünstig eingesetzt werden können. Wir haben große Fortschritte bei der Energieeffizienz von Mikrocontrollern und bei den Funktechnologien erzielt. Es existiert heute einfach eine große Auswahl an guten Komponenten, die sich für vernünftiges Geld in die unterschiedlichsten Produkte integrieren lassen.“ Teiimo bindet Elektronik zum Beispiel in Kleidung ein und hat unter anderem die „iilation“-Jacke entwickelt – eine beheizbare Lederjacke mit Freisprecheinrichtung und Handyladefunktion. Das Unternehmen ist spezialisiert auf derartige „Conformable Electronics“, also 3D-formbare elektronische Bauteile sowie deren textile Integration und unterstützt mit seinem Know-how auch andere Unternehmen.
Das breite Angebot an Elektronikkomponenten für Wearables ist aber wiederum dem Hype um diese Technologie zu verdanken, wie EBV-Experte Markus Vogt betont: „Die Halbleiterindustrie braucht einen Anfangshype und die damit verbundene große Nachfrage, um neue Entwicklungen zu starten und die damit verbundenen Investitionen in neue Bauteile stemmen zu können.“ Für Markus Strecker ist die Entwicklung von flexibler, anpassbarer Elektronik ein gutes Beispiel hierfür: Sie ermöglicht die Integration von elektronischen Komponenten in Kleidung – laut Strecker bietet das viele Möglichkeiten für die Zukunft, zum Beispiel im Medizinbereich. Vogt, der bei EBV zuständig ist für den Bereich Healthcare und Personal Health, sieht gerade im Hinblick auf medizinische Anwendungen noch einen anderen Vorteil der aktuell großen Nachfrage nach Wearables im Consumer-Bereich: Hier können Entwicklungen getestet werden, die dann in einigen Jahren in der Medizin Anwendung finden. „Die Technologien werden verfeinert, durch neue Software-Lösungen ergänzt und für die Anwendung in der Medizin zertifiziert – am Ende wird sich dann vielleicht von zehn Consumer-Applikationen eine ergeben, die im Medizinbereich sinnvoll eingesetzt werden kann.“

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Große Chancen im Health-Style-­Segment

Beides gleichzeitig zu machen, also ein Produkt sowohl für den Medizin- als auch für den Consumer-Bereich zu entwickeln, funktioniert nicht – so zumindest die Erfahrung von Johannes Kreuzer: „Die Anforderungen sind völlig anders. Wir haben uns daher zunächst auf den Consumer-Bereich konzentriert, weil der Markt einfach schneller ist. Der Switch zum Medizinbereich wird dann später erfolgen.“ Allerdings glaubt er, dass die beiden Bereiche Sport und Medizin in Zukunft zunehmend verschwimmen werden und es Consumer-Produkte geben wird, die zumindest teilweise auch den hohen Anforderungen aus dem Healthcare-Sektor gerecht werden, zum Beispiel in puncto Messgenauigkeit. Ein erstes derartiges Produkt gibt es sogar bereits: Das von dem französischen Unternehmen Withings entwickelte Blutdruckmessgerät, wie Christian Stammel meint: „Dabei handelt es sich um ein medizinisch zertifiziertes Gerät, das im Apple-Store verkauft wurde. Ein brillantes Beispiel für die neue Welle an Healthcare-Produkten, die so schön designt sind, dass sie sich auch in einem Consumer-Elektronik-Store verkaufen lassen.“ Stammel sieht in diesem Markt zwischen Sport und zertifizierten Medizinprodukten – er nennt es das Health-Style-Segment – einen besonders spannenden Bereich für Wearables. „Diese Produkte werden vor allem von Selbstzahlern gekauft und sehen auch daher nicht mehr wie typische Medizingeräte aus, sondern haben einen hohen Designfaktor.“ Wobei eine Überschneidung zwischen den Bereichen auch ein Risiko birgt, wie Markus Vogt mahnt: „In den USA sind derzeit zwei Verfahren gegen Fitbit anhängig, weil die Geräte zu ungenaue Messwerte lieferten.“

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Vielfältige Applikationen in der Industrie

Aber nicht nur in der Medizin sehen die Teilnehmer am TQ-Round-Table viele Einsatzmöglichkeiten für Wearables im B2B-Bereich. Johannes Kreuzer kann sich zum Beispiel verschiedene Szenarien rund um das Thema Monitoring von Vitalparametern vorstellen. Dies könne für Feuerwehrmänner zur Überwachung im Einsatz genauso interessant sein wie für das Militär – oder sogar in der Industrie: „Das Aufmerksamkeitslevel eines Mitarbeiters in der Produktion könnte so überwacht werden – ist er zu müde, um seine Arbeit gewissenhaft zu machen, wird er in eine kurze Pause geschickt. Das wäre zwar arbeitsrechtlich schwierig, aber möglich.“ Ein anderes typisches Beispiel für ein in der Industrie eingesetztes Wearable nennt Christian Stammel: „Allein Google Glass wurden ja von allen großen Beratungsfirmen dieser Welt genutzt, um zu zeigen, was man damit in der Logistik oder in der industriellen Fertigung machen kann. Es gibt einige erfolgreiche Unternehmen, deren Head-up-Display-Lösungen im professionellen Umfeld eingesetzt werden. Das ist ein großer Markt, bei dem wir am Anfang einer großen Revolution stehen.“ Wobei diese Revolution nicht unbedingt eigene „Industrie-Wearables“ benötigt, wie Stammel weiter erläutert: Eine gute Smartwatch kann genauso von einer Privatperson getragen werden wie im Business-Bereich zum Beispiel von einem Außendienstler, der darauf Daten vom SAP-System aufgespielt bekommt. „Letztendlich entscheidet die Back-End-Struktur darüber, ob ich ein B2C- oder ein B2B-Wearable habe.“ Was nicht bedeutet, dass nicht auch die Entwicklung spezifischer Wearables für den beruflichen Einsatz sinnvoll sein kann – Layla Keramat, Executive Creative Director von Frog, nennt als Beispiel einen Helm für Bauarbeiter. Frog ist ein internationales Produkt-Design- und -Strategie-Unternehmen und hat den Helm mit auf den Markt gebracht: „Über den Helm kann der Bauarbeiter Informationen abrufen oder Fotos vor Ort machen, um so Probleme mit Kollegen zum Beispiel in der Firmenzentrale zu klären. Diese Video-Capture-Funktion ist auch interessant für das Training von Berufsanfängern.“

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Wearable, Service und Software sind nicht trennbar

Dieses Beispiel lässt erahnen, dass es bei einem erfolgreichen Geschäft mit Wearables um mehr geht als nur um das eigentliche Gerät. „Es ist eine Integration von Service, Produkt und Software, die nicht trennbar ist“, so Layla Keramat. Auch Markus Strecker betont, dass es heute vor allem um die Information geht, die Hardware – Sensoren, Mikrocontroller usw. – aber der Enabler ist, um diese Informationen zu generieren und zu nutzen. „Hardware und Software sind nicht zu trennen. Bei einer sinnvollen Nutzung eines Wearable geht es um das gesamte Ecosystem, die vollständige Wertschöpfungskette vom einzelnen Sensor bis zur Internetplattform.“ Noch sieht es allerdings so aus, dass die Wearable-Anbieter vor allem mit den Geräten ihr Geld verdienen. Nach Schätzung von Christian Stammel werden nicht einmal zwei Prozent des Umsatzes mit Software generiert. „Wir erwarten aber, dass schon in den nächsten fünf Jahren 20 Prozent mit der Hardware und 80 Prozent mit dem Service dahinter und der Software verdient werden.“ Layla Keramat könnte sich sogar vorstellen, dass die von Wearables generierten Daten selbst so wertvoll sein werden, dass Unternehmen mit entsprechenden Geschäftsmodellen dafür zahlen werden: „Data is the new currency“, meint sie. „Da ist es nicht auszuschließen, dass man dafür bezahlt wird, einen Tracker zu tragen.“
Das wird aber nur mit der entsprechenden Struktur im Hintergrund funktionieren: „Wenn man die mit dem Wearable gewonnen Daten nicht mit zum Beispiel Goo­gle Now oder Siri verknüpft, wird das Nutzererlebnis in einer Sackgasse enden“, meint Layla Keramat. Und Stammel ergänzt: „Die Nutzer von Wearables wollen aus der Datenflut nur noch die für sie persönlich wichtigen Informationen haben – das funktioniert nur, wenn das Wearable direkt mit der Cloud verbunden wird. So können ergänzend Daten aus der Umgebung hinzugezogen werden – es entstehen für den Nutzer bedeutsame Daten und man erhält einen echten Mehrwert.“ Als Beispiel nennt er einen Asthmatiker, der in einer fremden Umgebung joggt: Während ein Tracker den Puls misst, bekommt der Nutzer aus der Cloud zusätzlich zum Beispiel eine Information über den CO2-Gehalt der Luft. Durch die Kombination beider Daten kann das Wearable dem Nutzer empfehlen, langsamer zu laufen und den Puls auf unter 100 zu bringen, da ansonsten die Gefahr eines Asthmaanfalls droht.

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Der Nutzen steht im Fokus

Genau dieser Nutzen ist es, der im Fokus stehen sollte, wenn ein Unternehmen ein neues Wear­able auf den Markt bringt, wie Johannes Kreuzer betont: „Man muss einen wirklichen Nutzen schaffen, ein Problem lösen mit dem Wearable, sonst hat man eben doch nur einen Hype.“ Dazu gehört auch eine Grundregel, die Layla Keramat einprägsam zusammenfasst: „Don’t make it stop you from doing what you’re doing. Das heißt, ein Wearable soll mich unterstützen in meinen Tasks, aber nicht ablenken.“
Und für Start-ups gibt Markus Strecker noch einen wichtigen Tipp: „Man darf auf der anderen Seite auch nicht den Markt vernachlässigen und muss dessen Player kennen. Denn auch wenn ich ein tolles Device habe, kann ich als Start-up nicht unbedingt mit den Marketingmaßnahmen eines großen Unternehmens mithalten.“ Markus Vogt hat in den letzten Jahren immer wieder mit Start-ups gesprochen, die ihr Businessmodell nicht detailliert genug durchdacht haben. „Wir setzen uns daher mit den Leuten in Workshops zusammen und definieren zum Beispiel deren Alleinstellungsmerkmal und erarbeiten ein ausführliches Geschäftsmodell.“ Als zweiten Schritt empfiehlt Vogt dann, sich einen Technologieexperten als Partner zu suchen und das Projekt von Anfang an mit ihm gemeinsam zu realisieren. „Sonst ist die im Wearable verbaute Elektronik sehr schnell bereits überholt, wenn das Gerät auf den Markt kommt.“

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PR-Maschine Crowdfunding

Bei vielen Start-ups haben sich Crowdfunding-Plattformen wie Kickstarter inzwischen als ein wirkungsvolles Marketinginstrument erwiesen: „Gerade Kickstarter wird von den großen Medien dieser Welt genau beobachtet. Das ist eine traumhafte PR-Maschine“, meint auch Christian Stammel. Markus Strecker ergänzt: „Wenn man auf die Crowdfunding-Kampagne ein gutes Feedback aus der Community erhält, bedeutet das ja, dass viele Leute das Produkt tatsächlich kaufen wollen. Damit findet man dann auch finanzstarke Geldgeber außerhalb der Community.“ Allerdings sollte man eine Crowdfunding-Aktion erst starten, wenn die Entwicklung abgeschlossen ist, betont Kreuzer: „Man muss mit seinem Produkt so weit sein, dass man mit der Fertigung beginnen kann.“ Denn ansonsten ist das Geld schnell in der Entwicklungsphase verbraucht und es bleibt nichts mehr, um das Produkt auch auf den Markt zu bringen. Wobei alleine das Geld aus einer Crowdfunding-Aktion für einen umfassenden Marktauftritt nicht reichen wird. „Wenn ein neues Wearable wirklich im Markt einschlägt, müssen innerhalb von zwei, drei Monaten schnell mal eine halbe Million Produkte auf den Markt gebracht werden – das können aber viele junge Unternehmen nicht stemmen“, weiß Vogt zu berichten.

Ein Technologiesprung

Auch wenn der Start schwierig sein kann, der Markt lohnt die Mühe. Da sind sich alle Round-Table-Teilnehmer sicher. Sie alle gehen von einer wachsenden Bedeutung von Wearables in unserem Leben aus. „Es wird ein Sprung sein wie vor zehn Jahren die Einführung vom Smartphone“, meint zum Beispiel Christian Stammel. Er geht davon aus, dass über 50 Prozent der Anwendungen im Gesundheits- und Healthcare-Bereich angesiedelt sein werden. Davon ist auch Markus Vogt überzeugt: „Dank Wearables werden zukünftig Zivilisationskrankheiten wie Diabetes oder Herzinsuffizienz besser in den Griff zu bekommen sein.“ Kreuzer ergänzt: „Gerade mit Big-Data-Auswertungen wird es im Medizinbereich für Wearables interessant.“ Markus Strecker zitiert die Marktanalysten von Gartner: „Vergesst die Fitnessarmbänder. Smarte Kleidung ist die Zukunft.“. Und er ergänzt: „Entscheidend für den Erfolg von Smart Textiles – gerade im Sport- oder Healthcare-Bereich – wird sein, die Technologie so zu integrieren, dass sie weder sichtbar noch spürbar ist.“ Den schönsten Schlusssatz liefert Layla Keramat: „Wearables werden genauso wichtig in unserem Leben sein wie eine Brille für Menschen mit Augenproblemen – und genauso werden sie uns eine Form von Superkraft verleihen.“

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