Was sind Brain Computer Interfaces?

Maschinen und Geräte allein über die Gedanken zu steuern – das ermöglichen Brain Computer Interfaces. Die Technologie findet zunehmend praktische Anwendungen außerhalb des Labors.

Das menschliche Gehirn enthält etwa 86 Milliarden Neuronen. Sie kommunizieren über elektrische Impulse miteinander – und lösen so unter anderem Bewegungen der Muskeln aus. Wie elegant wäre es, wenn man sich den Umweg bisheriger Human Machine Interfaces vom Gehirn über die Muskeln bis zum Umlegen eines Schalters sparen und direkt mit den elektrischen Impulsen des Gehirns ein Gerät steuern würde? Tatsächlich machen das sogenannte Brain Computer Interfaces (BCI) oder Brain Machine Interfaces (BMI) möglich.

Geräte werden kleiner und preiswerter

Im Jahr 1925 zeichnete der deutsche Psychiater Hans Berger das erste menschliche Elektroenzephalogramm (EEG) auf. Seitdem hat sich die Technologie im Bereich der Gehirn-Computer-Schnittstellen und der Datenverarbeitung ständig verbessert. Seit mindestens zehn Jahren geht der Trend bei der EEG-Hardware dahin, die Geräte kleiner, drahtlos, tragbar und preiswerter zu machen. Bereits über relativ einfache Headsets können grundlegende Messungen der Gehirnströme erfolgen. Das ermöglicht auch immer mehr praktische Anwendungen außerhalb des Labors. Letztendlich könnten BCI nicht nur zur Steuerung von Neuroprothesen verwendet werden, sondern auch für alle computergestützten Geräte wie Smartphones, Tablets oder ein Smart Home. Zunehmend absehbar werden darüber hinaus immer weitere nicht-medizinische Use-Cases, die von der PC-Spieleindustrie hin zur simultanen Steuerung von Drohnenschwärmen reichen. Die US-amerikanische Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) arbeitet sogar an einem fortschrittlichen Kommunikationssystem auf Basis von BCI – mit der „Silent Talk“ genannten Lösung sollen Soldaten und Militärpersonal Befehle über telepathische Kommunikation erteilen.

Medizinische Anwendungen dominieren noch

Noch ist aber der Medizinsektor der dominierende Markt für BCI. „Aktive und passive BCI werden bereits eingesetzt, um die Bewegungskontrolle bei Parkinson mit tiefer Hirnstimulation zu verbessern, epileptische Anfälle zu detektieren oder Hirnerkrankungen zu diagnostizieren. Der digitale und technische Fortschritt bietet ungeahnte neue Möglichkeiten und hat ein breites wissenschaftliches und wirtschaftliches Interesse geweckt“, schilderte Prof. Florian Mormann von der Deutschen Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung (DGKN).

So können BCI auch die Hirnaktivität in Steuersignale für externe Geräte wie Prothesen, Roboter oder Exoskelette übersetzen. Bidirektionale BCI erlauben es darüber hinaus, das Gehirn gezielt elektrisch anzuregen, beispielsweise um ein Tastempfinden beim Steuern einer Prothese zu simulieren.

„Die Medizintechnik hat in den letzten Jahren enorme Fortschritte gemacht“, so Prof. Dr. Alessandro Del Vecchio, Leiter des Neuromuscular Physiology and Neural Interfacing Laboratory (N-squared Lab) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU). „Allerdings gibt es noch viel Forschungs- und Entwicklungsbedarf im Bereich der Feinmotorik, um zum Beispiel die Bewegung einzelner Finger gelähmter Hände zu ermöglichen.“ Gemeinsam mit dem Institut für Fabrikautomation und Produktionssystematik der FAU will das N-squared Lab eine Neuroorthese entwickeln, die die Handfunktion so weit wiederherstellt, dass die Patienten mehr als 90 Prozent der alltäglichen Aufgaben selbstständig erledigen können. „Unser Ziel ist es, die Finger und den Daumen der Hand unabhängig voneinander und mit hoher Kraft zu bewegen“, sagt Del Vecchio.

Von Gedankensteuerung bis Medizintechnik: Brain Computer Interfaces eröffnen neue Dimensionen der HMI in vielen Anwendungsbereichen.

Genauigkeit steigern

Grundsätzlich kann bei BCI zwischen invasiven – die Schnittstelle wird ins Gehirn implantiert – , teilinvasiven und nichtinvasiven Systemen unterteilt werden. Nichtinvasive BCI haben aktuell noch den weitaus größten Umsatzanteil, denn sie ersparen dem Patienten einen aufwendigen und risikobehafteten chirurgischen Eingriff am Gehirn. „Wir haben bereits ein nichtinvasives BCI-System entwickelt, das es Menschen mit hoher Querschnittslähmung ermöglicht, mit willkürlicher Veränderung ihrer Hirnströme, Alltagsgegenstände zu greifen“, berichtet Prof. Dr. Surjo R. Soekadar, Einstein-Professor für Klinische Neurotechnologie an der Charité, und fügt hinzu: „Trotz der beachtlichen Fortschritte ist es bislang jedoch nicht gelungen, komplexe Handbewegungen mit einem solchen nicht-invasiven System zu steuern.“ Doch genau das will das Team um Prof. Soekadar erreichen: Es erprobt derzeit den Einsatz von ultragenauen Sensoren, sogenannten Quantensensoren, die Hirnaktivität mit einer wesentlich höheren Genauigkeit an der Kopfoberfläche messen können als EEG oder andere nichtinvasive Methoden. Grundlage der Hightech-Sensoren sind gasförmige Atome, die als Magnetfeldsonden fungieren und die auf die elektrischen Hirnsignale reagieren.

Chip im Gehirn

Noch einmal deutlich mehr und genauer können implantierte BCI Gehirnimpulse erfassen. Tatsächlich testen bereits Unternehmen wie Synchron oder Neuralink entsprechende Implantate am Menschen. Elon Musk war 2016 Mitbegründer von Neuralink und hat versprochen, dass die Technologie „es Menschen mit Lähmungen ermöglichen wird, ein Smartphone mit ihrem Gedanken schneller zu bedienen als jemand, der die Daumen benutzt“. Letztendlich aber soll der implantierte Chip das menschliche Gehirn leistungsfähiger machen, bis hin zu einem Verschmelzen des Gehirns mit Künstlicher Intelligenz. Aus Sicht von Prof. Mormann ist das nach heutigem Stand noch reine Zukunftsmusik: „Neuroenhancement bedeutet gezielte und spezifische Beeinflussung von Hirnaktivität. Voraussetzung dafür ist ein detailliertes und mechanistisches Verständnis dieser Aktivität. Unser Wissen dazu ist bislang allerdings noch viel zu unvollständig und lückenhaft.“

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