Nach Dampfmaschine, Fließband und elektronischer Steuerung löst die Integration des Internets in die Fertigungstechnik die vierte industrielle Revolution aus. Wer den Trend ignoriert, wird den Anschluss verpassen.
Das Internet hat die Geschäftswelt und das Privatleben nachhaltig verändert und ist jetzt auf dem Weg auch die Fertigungsindustrie zu erobern: Firmen werden künftig ihre Maschinen, Lagersysteme und Betriebsmittel durch digitale Systeme weltweit vernetzen. Der Informationsaustausch rund um die Uhr und den Globus wird vernetzte Maschinen in die Lage versetzen, sich selbstständig zu steuern, effizienter zu arbeiten und Fehler schnell zu erkennen. So die Vision einer vom Internet geprägten Industriestruktur, die inzwischen als vierte industrielle Revolution bezeichnet wird.
Daraus leitet sich der Begriff Industrie 4.0 ab, den Prof. Henning Kagermann als Präsident der Deutschen Akademie der Technikwissenschaften (Acatech) maßgeblich mitgeprägt hat. Er ist sich sicher, dass das Internet im verarbeitenden Gewerbe einen Epochenumbruch einleitet: „Dieser ist vergleichbar mit den drei großen industriellen Revolutionen, die den Weg in die moderne Industriegesellschaft geebnet haben: Die Einführung der Dampfmaschine im 18. Jahrhundert, die Erfindung des Fließbandes Ende des 19. Jahrhunderts und schließlich die Entwicklung der elektronischen Steuerung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.”
Daten werden in gewaltigem Umfang erfasst und analysiert
Der Weg zur Industrie 4.0 setzt sich aus mehreren Elementen zusammen: Grundstein ist die Möglichkeit, Industrieanlagen mit den unterschiedlichsten Sensoren und Mechanismen zum Sammeln von Daten auszurüsten. Das führt schon heute zu einem exponentiellen Wachstum des Datenvolumens – Big Data ist das Schlagwort.
Ergänzt man diese Daten mit denen aus dem Internet der Dinge, erhält man eine Vielzahl von Informationen, in diesem Falle von Betriebseinrichtungen, Produkten, Fabriken, Lieferketten und vielem mehr. Mit neuen Technologien stehen heute die Möglichkeiten zur Verfügung, diese Daten zu erfassen und zu verarbeiten.
Dies wird ergänzt durch die immer umfassenderen Fähigkeiten im Bereich der Analytik. Schon heute lassen sich Daten gewinnen und analysieren, die genaue Rückschlüsse auf den aktuellen Zustand einer Maschine ermöglichen. Daraus können dann Maschinenausfälle oder andere Ereignisse vorhergesagt werden.
Das Ergebnis ist ein System, das die Informationen verschiedener Beteiligter innerhalb einer Wertschöpfungskette vereint – von der ersten Vision eines Produktes über die Herstellung bis hin zur Modernisierung und Entsorgung. Das Endresultat ist ein gewaltiges System, in dem sämtliche Prozesse in Echtzeit integriert und miteinander verknüpft sind. Die physikalische und die digitale Welt sind dabei integriert. Man spricht von Cyber-Physical Systems, in denen industrielle Geräte, Anlagen, ja ganze Fabriken eine zweite Identität – ein Spiegelbild aus Daten – im Cyberspace erhalten.
Die industrielle Fertigung wird neu organisiert
Letztendlich ermöglicht Industrie 4.0 die Neuorganisation der industriellen Produktion: Durch die Vernetzung von Maschinen, Systemen, Werkstücken und Produkten werden intelligente Produktionssysteme geschaffen, die sich ohne manuelles Eingreifen selbstständig gegenseitig steuern können. Im Fokus ist dabei eine höhere Flexibilität und Dynamik: So soll eine individuelle Fertigung eines einzelnen Produktes (in der Industrie spricht man von der Losgröße 1) zu den Kosten eines Massenproduktes möglich sein. Wertschöpfungsprozesse passen sich an den jeweiligen Bedarf in Echtzeit an. So treten an die Stelle passiver, vorgeplant betriebener Produktionssysteme aktive, autonome, sich selbst organisierende Produktionseinheiten. Das intelligente Produkt unterstützt den Produktionsprozess aktiv. Die Produktion wird so nicht nur hochflexibel und hochproduktiv, sondern auch ressourcenschonend und nachhaltig.
Mehr Wertschöpfung durch neue Geschäftsmodelle
Das Revolutionäre an all diesen Visionen ist nicht so sehr die technische Realisierung, sondern die Fülle an bisher undenkbaren neuen Geschäftsmöglichkeiten, die sich aus der Verfügbarkeit und Kombination von Informationen ergibt. Ein Stichwort dazu lautet „Smart Services“. Sie basieren auf der Auswertung von digitalen Daten aus intelligenten Produkten und verlängern damit die Wertschöpfungskette des Herstellers. Bisher endet diese, wenn etwa eine Landmaschine oder eine Flugzeugturbine die Fabrik verlässt. Zukünftig werden die Hersteller aber Zugriff auf die digitalen Nutzungsdaten aus den vernetzten Produkten haben. Das ermöglicht Geschäftsmodelle, die den gesamten Lebenszyklus abdecken. Die Hersteller können, basierend auf der Analyse dieser Daten, zum Beispiel neue Wartungsmodelle entwickeln, den Betrieb der Maschinen und Geräte beim Kunden optimieren oder auch branchenübergreifend neue Angebote entwickeln.
Wer nicht mitmacht, wird abgehängt
„Wir sehen einen Schub bei intelligenten Produkten, die mit zahlreichen Sensoren und einer Internetschnittstelle ausgestattet sind. Viele Unternehmen setzen schon jetzt auf die Vernetzung und arbeiten intensiv an digitalen Geschäftsmodellen rund um ihre Produkte“, sagt Frank Riemensperger, Vorsitzender der Geschäftsführung von Accenture Deutschland und Mitglied im Vorstand des BITKOM. „Über kurz oder lang wird sich jedes Unternehmen mit den Auswirkungen der Digitalisierung auf das eigene Geschäftsmodell beschäftigen müssen.“ Wer dies versäumt, riskiert sein Unternehmen, wie Muthukumar Viswanathan, Industrial Automation & Process Control Practice Director bei Frost & Sullivan, warnt: „Industrie 4.0 ist ganz darauf ausgerichtet, künftig entstehende Herausforderungen zu meistern. Die industrielle Landschaft wird sich enorm verändern. Unternehmen, die es versäumen, dieser Veränderung zuvorzukommen und keine Vorsorge dafür treffen, werden abgehängt. Ihre Produkte oder Lösungen könnten überholt werden und schließlich ganz verschwinden.“