Industrie 4.0 wird in der Öffentlichkeit häufig als rein technisches Thema angesehen. Doch ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes sind auch neue soziale Infrastrukturen, bei denen der Mensch eine Schlüsselrolle in der smarten Fabrik einnimmt.
Vor allem technische Aspekte stehen in der Diskussion um Industrie 4.0 im Vordergrund. Doch die smarte Fabrik wird auch erhebliche Auswirkungen auf den Menschen, der in ihr arbeitet, haben. „Die menschenleere Fabrik wird es nicht geben“, so Prof. Dr.-Ing. Sascha Stowasser, Direktor des Instituts für angewandte Arbeitswissenschaft in Düsseldorf. Er betont aber, dass „die Arbeitswelt von morgen sich mit dem Einsatz vernetzter Systeme ändern wird.“ Noch werden Arbeit und Arbeitsorganisation in der Industrie 4.0 seiner Meinung nach zu wenig diskutiert. Daraus resultieren auch Sorgen der Arbeitnehmervertreter: Wird der Mensch nur noch Restaufgaben übernehmen, gesteuert in cyber-physischen Systemen von Computern? Abgelehnt wird die Industrie 4.0 von den Gewerkschaften allerdings nicht. Doch Jörg Hofmann, Zweiter Vorsitzender der IG Metall, fordert: „Wir brauchen einen Neustart in arbeitspolitischer Perspektive. Erforderlich ist eine neue Humanisierungsoffensive, in der der Mensch die Systeme steuert und nicht umgekehrt.“
Der Mensch ist das flexibelste Element
Die Voraussetzungen sind sehr gut. Anders als beim CIM-Konzept (Computer Integrated Manufacturing) der späten 80er-Jahre übernimmt der Mensch in der Industrie 4.0 eine Schlüsselrolle: Er soll die steuernde, durchführende und überwachende Größe im Unternehmen sein. Denn der Mensch ist nach wie vor das flexibelste Element in den Produktionsabläufen.
Industrie 4.0, richtig umgesetzt, wird den Menschen also nicht überflüssig machen, sondern vielmehr sein Aufgabenspektrum und damit sein Qualifikationsprofil verändern. Dazu ein Beispiel: Aufgrund der Vernetzung und zunehmenden Autonomie von cyber-physischen Systemen werden der klassische Leitstand oder die Produktionsplanung an Bedeutung verlieren. Im Gegenzug werden allerdings die Mitarbeiter an den Maschinen, am Ort des Geschehens, mehr Entscheidungen treffen. Die dafür notwendigen Informationen zu Produkten und Prozessen erhalten sie von Assistenzsystemen.
Wissensarbeit statt Routine
In diesem Zusammenhang spricht man auch von Wissensarbeit. Wissensarbeit hat nichts mehr mit den herkömmlichen automatisierten Routinetätigkeiten der Fabrikarbeit zu tun. Sie ist durch eine völlig neuartige, komplexe und autonome Arbeitsumgebung gekennzeichnet. „Es gilt zu hinterfragen, wie Menschen arbeiten und lernen, wie sie mit neuen Technologien interagieren und wie sie an einem attraktiven und fordernden Produktionsarbeitsplatz einen Mehrwert für die Industrie erzeugen können“, verdeutlicht Martin Wifling vom Virtual Vehicle Research Center in Graz. Er ist Leiter eines europäischen Forschungsprojektes, in dem untersucht wird, wie Arbeitsplätze in der Fabrik der Zukunft attraktiv und intelligent gestaltet werden können.
Den Menschen in den Mittelpunkt der smarten Fabrik zu setzen, lohnt sich: Durch das Eingehen auf die Situation des Menschen im Produktionsablauf kann eine Erhöhung der Zufriedenheit und Motivation von Produktionsmitarbeitern erreicht werden. Dadurch kann insgesamt eine Steigerung der Produktivität um bis zu 10 Prozent bewirkt werden. Der Hauptfokus des Forschungsvorhabens liegt jedoch vorwiegend darin, „den Arbeitsplatz in der Produktion in Europa deutlich attraktiver zu gestalten, damit mehr Menschen sich gezielt für dieses fordernde und sich verändernde Berufsfeld entscheiden“, so Wifling.
Ein besserer Arbeitsplatz
Die Interaktion mit intelligenten Maschinen und die zunehmende Automation bieten darüber hinaus einige Chancen für die Qualität des Arbeitsplatzes, zum Beispiel für Flexibilisierung, neue Arbeitszeitregelungen oder das Thema Gesundheit am Arbeitsplatz. Gleichzeitig muss sich aber auch die Aus- und Weiterbildung an Industrie 4.0 anpassen. Jeanne Beliveau-Dunn, Vice President und General Manager, Learning@Cisco: „Die Mitarbeiter müssen sich heute auf die sich verändernden Anforderungen in ihrem Beruf einstellen. Die Nachfrage nach qualifizierten Fachkräften, die wissen, wie sie mit IT-Netzwerken und traditionellen Steuerungssystemen umgehen müssen, nimmt zu.“
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