Der Pionier des maschinellen Sehens

Prof. Dr. Ernst Dieter Dickmanns gilt als der Pionier autonomer sehender Autos. Seine in den 1980er Jahren entwickelten Methoden des „maschinellen Sehens“ finden noch heute in autonomen Fahrzeugen Anwendung.

Nicht nur ein bisschen neidisch ist Prof. Ernst Dieter Dickmanns, wenn er die Technologien sieht, die den Entwicklern autonomer Fahrzeuge mittlerweile zur Verfügung stehen. „Die Rechenleistung pro Mikroprozessor ist heute fast eine Million Mal so hoch wie zu der Zeit, als wir anfingen. Das Volumen von Rechnern und Sensoren ist kleiner als ein Tausendstel im Vergleich zu damals.“ Damals – das waren die späten 1980er Jahre, als Prof. Dickmanns, geboren 1936, mit der Entwicklung eines autonomen Autos begann. Er setzte schon zu dieser Zeit auf das, was jetzt gemeinhin „maschinelles Sehen“ genannt wird. „Wenn man sich anschaut, welche Rolle Sehen in biologischen Systemen spielt, dann muss es auch für technische Systeme große Vorteile haben“ – mit diesem Gedanken entwickelte er eine Methode, die den Autos das Sehen beibrachte.

Auch ohne große Rechenleistung in Echtzeit sehen

„Das sichere autonome Fahren auf allen Arten von Schnellstraßen halte ich für wichtig.“

„Man konnte bereits 1975 erkennen, dass die Rechenleistung pro Mikroprozessor in vier bis fünf Jahren um den Faktor 10 zunahm“, erinnert sich Prof. Dickmanns. 1975 war das Jahr, in dem er, knapp 40 Jahre alt, an die Universität der Bundeswehr in München wechselte. „Bis zu meiner Pensionierung war zu erwarten, dass die Rechenleistung um den Faktor eine Million zunehmen würde. Dies sollte reichen, um Videoauswertungen in Echtzeit zu -ermöglichen, was eine völlig neue technische Errungenschaft wäre.“ Dickmanns begann mit seinem Team eine Methode zu entwickeln, die das „Rechnersehen“ schon vor seiner Pensionierung Realität werden lassen sollte. Bei diesem 4D-Ansatz, wie er die Methode nennt, werden die von Kameras aufgezeichneten Informationen digitalisiert und nur als abstrakte Linien mit benachbarten Grauwertflächen vom Rechner verarbeitet. Statt, wie damals allgemein üblich, das jeweils aktuelle Bild mit dem vorherigen zu vergleichen, verwendete er Bewegungsmodelle im 3D-Raum und integrierte die Zeit (daher der Name „4D“), um den beobachteten Prozess in der realen Welt zu verstehen. Mit diesen Modellen wurden die erwarteten Merkmale im nächsten Bild vorhergesagt. So fallen wesentlich geringere Datenmengen an: Selbst mit den damaligen Prozessoren konnten vereinfachte Szenen in 100 Millisekunden verarbeitet werden – was in der Automatisierung Echtzeit entspricht.

Von München nach Kopenhagen – fast vollständig autonom 

Das erste so ausgerüstete Fahrzeug fuhr bereits 1987 autonom auf abgesperrten Teststrecken. Die Technik dafür füllte im wahrsten Sinne Schränke – das erste Testfahrzeug war ein Mercedes-Transporter mit fünf Tonnen Nutzlast: VaMoRs (Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität und Rechnersehen) bot ausreichend Kapazitäten, um einen Stromgenerator und mehrere Meter Industrie-Schaltschränke für die Elektronik unterzubringen. Doch schon wenige Jahre später war der Platzbedarf deutlich geschrumpft: Die Fahrzeuge VaMP der Universität der Bundeswehr und ViTA-2 von Daimler basierten beide auf einer Mercedes-Limousine und waren ein Ergebnis des von der europäischen Autoindustrie initiierten Projektes Prometheus. Beide Projekte wurden von Prof. Dickmanns betreut. Ab 1993 konnten diese Autos auf Straßen mit normalem Verkehr völlig autonom fahren. Die Krönung war eine Fahrt von München nach Kopenhagen: Die 1.700 Kilometer lange Strecke legte das Testfahrzeug zu 95 Prozent ohne Intervention des Fahrers zurück, wechselte die Spur, überholte andere Autos und erreichte eine Höchstgeschwindigkeit von 175 Kilometern pro Stunde. Damals eine Sensation – und auch für aktuelle selbstfahrende Pkw noch ein Maßstab. Heute ist der 4D-Ansatz aus autonomen Fahrzeugen nicht mehr wegzudenken – und Prof. Ernst Dieter Dickmanns weltweit als der Pionier anerkannt, der dem Auto das Sehen beibrachte.

Rezept für erfolgreiches Forschen

Bis zu seiner Pensionierung in 2001 entwickelte er noch viele weitere Lösungen rund um das Rechnersehen und das autonome Fahren. Nach seinem Erfolgsrezept gefragt, nennt er vier Punkte: „Die Überzeugung von der Überlegenheit der eigenen Idee, das Einwerben einer ausreichenden Summe an Forschungsmitteln, die Auswahl entsprechend qualifizierter Mitarbeiter und Doktoranden sowie viele intensive Gespräche mit Partnern aus der Industrie und mit internationalen Fachkollegen auf Tagungen.“ Wer dies – neben der eigenen Kreativität – in ein Projekt einbringen kann, hat in seinen Augen das Zeug zu einem erfolgreichen Forscher und Erfinder. Allerdings machte Dickmanns nicht nur gute Erfahrungen in seinem Berufs- und Forscherleben. So rät er rückblickend: „Bei der Auswahl der Partner in Industrie und Forschung würde ich noch vorsichtiger sein und wesentliche Punkte schriftlich fixieren.“

Mit gutem Gefühl 

Doch Prof. Dickmanns ist noch lange nicht im Ruhestand. Nach wie vor verfolgt er die aktuellen Entwicklungen rund um das autonome Fahren, hält Vorträge und hat immer noch Ideen, wie man das maschinelle Sehen verbessern kann: „Beim derzeitigen Stand der Technik würde ich gleich auf Lösungen zielen, die sich in biologischen Systemen bewährt haben. So würde ich kleine Fahrzeugaugen mit dynamischer Blickrichtungs-Stabilisierung und -Steuerung einsetzen, die am oberen Ende des A-Holms links und rechts im Pkw integriert sind.“

Würde er heute tatsächlich mit einem guten Gefühl in einem vollautonomen Auto fahren? „Wenn es das gäbe – ja“, ist seine klare Antwort. Er könnte sich auch vorstellen, eines der neuen Autos zu kaufen, die selber einparken können und im Stau autonom fahren: „Wobei ich auf das Einparken keinen großen Wert lege; das sichere autonome Fahren auf allen Arten von Schnellstraßen halte ich aber für wichtig.“

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