Interview mit Dr. Simon Haddadin, CEO von Franka Emika

Interview mit Dr. Simon Haddadin, CEO des Roboter-Herstellers Franka Emika.

Viele innovative Technologien wie Künstliche Intelligenz oder Machine Learning enden am Bildschirm, meint Dr. Simon Haddadin. Die Robotersysteme, die er und sein mittlerweile 140 Mitarbeiter umfassendes Team bei Franka Emika entwickeln, führen Technologie dagegen über den Monitor hinaus und greifen direkt in die reale Welt ein. Das hat nicht nur einen technischen „Impact“, wie Haddadin es nennt, sondern auch einen sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Effekt.

Der promovierte Human-Mediziner fand das Thema extrem spannend. Daher hing er vor vier Jahren seinen Arztkittel an den Haken und gründete gemeinsam mit seinem Bruder Sami 2016 das Unternehmen Franka Emika. Deren Roboter sollen die Welt ein Stück weit verbessern. Seit Produktionsstart 2018 hat das Unternehmen rund 3.000 Roboter für die unterschiedlichsten Applikationen verkauft.

Während Sami Haddadin der Experte für Künstliche Intelligenz und Algorithmen ist, steuert Simon Haddadin unter anderem sein Know-how als Arzt bei. Denn bei der Entwicklung der Franka Emika Roboter gilt es, die Fähigkeiten des Menschen zu verstehen und in Technologie zu übertragen. Ein beeindruckendes und gerade besonders aktuelles Beispiel für die Fähigkeiten seiner Roboter hat Simon Haddadin mit SR-NOCS demonstriert. Dieser „Swab Robot for Naso- and Oropharyngeal Covid-19 Screening“ nimmt vollautomatisch und hochgenau Nasen- und Rachenabstriche bei Menschen, um sie auf Covid-19 zu testen. Das System hat seine Fähigkeiten bereits in der Praxis bewiesen und auch schon von Arztpraxen bestellt worden. Bis es soweit war, brauchte es allerdings so manch schlaflose Nacht und viel Leidenschaft, wie Dr. Simon Haddadin betont.

Ist der SR-NOCS typisch für das was Ihr Unternehmen macht?

Dr. Simon Haddadin: Nein, eigentlich nicht. Denn wir sehen unsere Roboterlösung als eine Hard- und Software-Plattform, so ähnlich wie Apple mit dem iPhone und dem App-Store. Andere können also auf unserer Plattform aufsetzen und eigene komplett neue Lösungen auf Basis unseres Systems auf den Markt bringen. Im Falle des SR-NOCS waren wir also eher unser eigener Kunde, haben somit nicht nur die Plattform geliefert, sondern gleich eine Systemlösung für eine spezifische Anwendung.

Was ist denn – neben diesem Plattform-Gedanken – das Besondere an Ihren Robotern?

S.H.: Wir haben die Firma mit der Vision gegründet, Robotik für jedermann möglich zu machen. Dazu haben wir unseren Robotern neue Fähigkeiten gegeben. Zu allererst einen Tastsinn, indem wir ihn mit über 100 Sensoren ausstatten und ihn nicht starr, sondern mit einer mechanischen Nachgiebigkeit versehen haben. Er kann ähnlich wie ein Mensch Muskeln anspannen oder entspannen. Damit können unsere Roboter eng mit dem Menschen zusammenarbeiten, ohne Absperrzaun oder ähnliche Schutzvorrichtungen. Last but not least sind unsere Roboter so einfach zu bedienen wie ein Smartphone und kosten im Vergleich zu bisherigen industrietauglichen Robotern nur einen Bruchteil.

Wie kamen Sie als Human-Mediziner denn überhaupt dazu, ein Robotik-Unternehmen zu leiten?

S.H.: Ich habe ja das Unternehmen mit meinem Bruder zusammen gestartet. Eigentlich war es früher so, dass ich der Technikaffine war. Ich habe zuhause Computer gebaut und programmiert. Mein Bruder dagegen wollte immer in Richtung Meeresbiologie gehen. Aber wir haben uns beide nicht so richtig um unsere Zukunft gekümmert – und am Ende hat uns unsere Mutter immatrikuliert, meinen Bruder für Elektrotechnik und technische Informatik, mich für Medizin.

Also eigentlich genau entgegen Ihrer Interessen…

S.H.: Eigentlich schon. Mein Bruder hat dann einen Algorithmus entwickelt, der Robotern einen Tastsinn ermöglicht. Aber keiner hat ihm geglaubt, dass das funktioniert. Ich habe ihm damals gesagt, dass man in der Medizin alles statistisch belegen muss – das war vor ungefähr zehn Jahren zu Weihnachten. Wir sind dann am ersten Weihnachtstag statt zum Weihnachtsessen ins Labor gegangen und haben im Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt, wo er damals gearbeitet hat, Crash-Tests gemacht. So wollten wir herauszufinden, wo die Grenze zwischen Gefahr und Nicht-Gefahr für den Menschen verläuft. Hieraus ist dann auch meine Dissertation im Bereich Biomechanik entstanden. Wir haben damals beide gesehen, dass man zwar viel forschen kann, aber der Schritt in die reale Welt nicht passierte. Das war der Grund, unser eigenes Unternehmen zu gründen.

Was ist für Sie das Faszinierende an der Robotik?

S.H.: Der Impact, den ich hier mit Franka Emika habe, ist ein ganz anderer, als wenn ich als Arzt letztendlich nur ein kleines Rädchen im Klinikalltag wäre. In der Medizin lernt man sehr gründlich, wie ein Mensch aufgebaut ist, aber nur wenig darüber, wie er eigentlich funktioniert. Das ist in Advanced Robotics, wie wir es betreiben, anders: Was mich vor allem begeistert, ist, dass man das Verständnis für die Fähigkeiten des Menschen erlangen muss und diese dann in eine Maschine überträgt. Und natürlich kann man sich auch für die daraus resultierenden Möglichkeiten begeistern.

Viele andere moderne Technologien wie Machine Learning oder Künstliche Intelligenz enden letztendlich vor einem Bildschirm. Aber die wichtigste Eigenschaft, die der Mensch hat, ist die Interaktion mit der realen Welt, und das auch im kompletten Chaos: Der Mensch weiß nicht, was auf ihn zukommt und findet sich dennoch in seiner Umwelt zurecht und kann mit ihr interagieren. Dieser Eingriff in die echte Welt ist für mich das Spannende an der Robotik. Unsere Roboter sollen dem Menschen dabei helfen, seine Fähigkeiten noch besser und einfacher nutzen zu können.

Sie sprachen gerade von Impact – was genau meinen Sie damit?

S.H.: Im Grunde sind das zwei Themen: Zum einen habe ich das Glück, hier eine extrem ambitionierte und kompetente Mannschaft zu haben, die es uns ermöglicht, so ein Projekt wie SR-NOCS innerhalb kurzer Zeit zu realisieren. Innovation ist unser höchstes Gut, und wir lassen unseren Leuten extrem viel Freiraum. So können sie ihre Ideen hier auch umsetzen. Das ermöglicht überhaupt erst unsere Innovationen und technologischen Durchbrüche.

Das andere ist der Einsatz in der echten Welt: Unsere Systeme werden vor allem in der 3C-Industrie eingesetzt, also in der Computer-, Communication-Devices- und Consumer-Electronics-Industrie. Doch im vorletzten Jahr wurde die letzte PC-Fabrik Europas geschlossen. Wir wollen in Europa zwar digitalisieren, können hier aber keinen einzigen Computer fertigen… Das ist eine Folge davon, dass auf der anderen Seite des Planeten andere Regeln herrschen: Wenn man die Fabriken dort mal gesehen hat, muss man schon sagen, dass sie nahe an moderne Sklaverei herankommen. Nur so können unsere Smartphones so günstig sein.

Ein Impact ist also, dass wir mit unseren Robotern dafür sorgen können, dass es derartige Arbeitsverhältnisse nicht mehr gibt.

Der andere Impact ist, dass wir dazu beitragen wollen, dass Europa wieder eine wirtschaftlich-technologische-Unabhängigkeit erlangt. Heute sind wir komplett Konsumenten im Bereich der Informationstechnik, kein Lieferant. Wir haben die Vision, derartige Fertigungen in Europa wieder kostenfähig zu machen. Unsere Produktion findet zum Beispiel im Allgäu statt. Dort werden unsere Roboter zum großen Teil von Robotern gefertigt. So können wir hier lokal kostengünstig produzieren.

Das andere ist langfristig mechatronische Systeme wie Autonomes Fahren oder Autonomes Fliegen zu ermöglichen – hier haben wir noch viel Know-how in Europa. Wir wollen möglichst verhindern, dass hier eine ähnliche Entwicklung wie im IT-Bereich stattfindet und die Produktion dieser Technologien ins außer-europäische Ausland abwandert.

Wir versuchen da unseren Beitrag zu leisten.

Ihr Motto lautet allerdings „Robotik für jedermann“, also nicht nur in der Fabrik…

S.H.: Das ist richtig, aber wir nutzen die Industrie, um einen Skaleneffekt zu erreichen. Man braucht erst mal einen Markt, indem man eine gewisse Stückzahl erreichen kann, um den Preis weiter reduzieren zu können. Wir haben zwar schon einen Quantensprung bei den Kosten für Roboter erreicht, aber für den privaten Einsatz ist das immer noch zu teuer. Man muss also weiter skalieren, um die Kosten zu reduzieren. Dann kann man eine Größenordnung bei den Kosten erreichen, wie sie auch für Haushaltsgeräte akzeptiert werden. Das muss ja das Ziel sein.

Wichtig ist, dass der Roboter dabei nicht als Spielzeug gesehen wird, sondern als Home-Assistent. Das ist natürlich noch ein paar Jahre hin, aber in der Entwicklung machen wir da bereits sehr viel. So nutzen wir hier sowohl unsere stationären Roboter, bauen aber auch schon Service-Roboter, also fahrbare Roboter-Assistenten. Unser Ziel ist, dass Menschen in ihrem dritten und vierten Lebensabschnitt zuhause Roboter nutzen, die sie unterstützen. Beim Einräumen der Spülmaschine, Essen machen, Tabletten anreichen. Eine wichtige Rolle können Roboter auch als Kommunikationsmedium spielen. So dass man in Zukunft sich nicht nur per Telefon oder Videokonferenz miteinander austauschen kann, sondern auch haptisch per Roboter. Das Dritte ist die medizinische Unterstützung, das heißt dass der Roboter einen an Tabletten erinnert, sie vielleicht sogar gleich gibt, einfache Untersuchungen durchführt wie Temperatur- oder Blutdruckmessungen und wenn notwendig auch den Notarzt rufen.

Wann glauben Sie sind derartige Systeme in der Breite verfügbar?

S.H.: In Einzelanwendungen gibt es das heute schon. Das so etwas flächendeckend verfügbar ist – das sehe ich in fünf bis zehn Jahren.

Die industriellen Anwendungen halte ich für total essenziell und wichtig, aber natürlich wünsche ich mir, dass Roboter irgendwann in Alltags-Situationen viel mehr eingesetzt werden. Dazu muss aber auf der einen Seite technologisch noch einiges passieren, zum anderen müssen auch entsprechende Regularien angepasst werden, wie man zum Beispiel mit derartigen lernenden Systemen im Alltag umgehen kann.

Was muss sich technologisch denn noch weiterentwickeln?

S.H.: Zum einen muss an der Kommunikation zwischen den Maschinen noch etwas passieren. Da ist das heutige Internet aus unserer Sicht nicht geeignet für. Es ist zu zentral, man braucht ein neuartiges, im besten Fall dezentrales Netzwerk. Auch im Bereich der Echtzeit-Anwendungen besteht noch Entwicklungsbedarf, denn bei Maschinen bedeutet Echtzeit 1.000 Signale in der Sekunde – das ist mehr als das Tausendfache dessen, was man in der IT oder im Internet unter Echtzeit versteht. Dafür sind viele Systeme nicht ausgelegt. Zudem muss noch weiter eine Hardware-Skalierung stattfinden, damit die Komponenten noch günstiger werden.

Robotik ist ja nur eine von vielen Trend-Technologien, die aktuell diskutiert wird. Welche der „disruptiven“ Technologien wie IoT, KI oder Edge Computing werden unsere Gesellschaft am stärksten verändern?

S.H.: Es ist natürlich schwierig für mich, hier ein unparteiisches Urteil abzugeben. Das Schöne an Robotik ist ja auch, dass sie extrem technologieübergreifend ist. Man wendet eigentlich all die Technologien an, die sie genannt haben, und führt sie zusammen. Sie bringen dabei viele der Trend-Technologien in die echte Welt.

Technologie ist das Eine. Aber Sie brauchen auch Menschen, die eine gewisse Leidenschaft für Technik haben. Man kann aber den Eindruck haben, dass junge Menschen heute eher ablehnend gegenüber neuen Technologien sind. Wie ist hier Ihre Erfahrung, gerade als junges Unternehmen?

S.H.: Mit Sicherheit beschäftigen sich – glücklicherweise – junge Leute heute mit relevanten Themen wie dem Klimaschutz. Aber am Ende des Tages glaube ich schon, dass Technologie uns in vielerlei Hinsicht hilft, die großen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen.

Daher wollen wir jungen Menschen zeigen, was mit Technologie möglich ist. Wir haben 2017 den deutschen Zukunftspreis bekommen, der mit 250.000 Euro dotiert ist. Mit dem Geld haben wir eine Stiftung gegründet, die so früh wie möglich Kinder und Jugendliche an Technologie heranführen möchte.

Außerdem sind wir Schirmherr für den Münchener „Jugend forscht“-Wettbewerb. Wir sehen bei all diesen Aktionen, dass es noch genügend junge Menschen gibt, die sich für Technologie begeistern und auch sehen, was Technologie bewirken kann.

Wie wichtig ist Leidenschaft bei der Entwicklung neuer Technologien und ihrem Einsatz? Geht das nur mit ihr, oder stört das unter Umständen sogar?

S.H.: Wahrscheinlich beides… Leidenschaft sorgt dafür, dass man gegen alle Widerstände weitermacht. Wenn man neue Dinge tut, gibt es viele Widerstände. Das kann Konkurrenz sein, die natürlich überhaupt kein Interesse daran hat, das „new kids on the block“ auftauchen. Dann gibt es regulatorische Themen – die Welt ist in vielerlei Hinsicht nicht bereit für neue Themen. Und natürlich ist auch die reine Technologie-Entwicklung mitunter hart und schwierig: Das bedeutet oftmals lange Nächte und kurze Tage, die Familie sieht man dann selten. Ohne eine gewisse Leidenschaft ist man nicht in der Lage, über einen längeren Zeitraum hinweg, derartigen Widerständen zu trotzen.

„Leidenschaft sorgt dafür, dass man gegen alle Widerstände weitermacht.“

Dr. Simon Haddadin, CEO und Mitbegründer Franka Emika

Auf der anderen Seite muss man aber auch irgendwann kühl und „teflon-mäßig“ unterwegs sein. Denn man kann sich ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr überall rein verbeißen. Irgendwann braucht man einen gewissen Abstand, um auch einfach Geld zu verdienen. Ohne Leidenschaft aber hätte man schon längst die Flinte ins Korn geworfen.

SR-NOCS – feinfühlig zum Medizinprodukt?

SR-NOCS
Abstriche aus dem Rachen- und Nasenraum eines Menschen zu nehmen, ist eine echte Herausforderung für Roboter. Denn die Anatomie jedes Menschen ist anders – neben dem variierenden Normalfall gibt es Deformationen und verschiedene Tiefen. Und der Roboter muss zur Abnahme des Abstrichs tief mit einem Wattestäbchen vordringen, darf dabei aber den Patienten nicht verletzen. Hier punktet der Roboter von Franka Emika mit seinem Tastsinn und nimmt die Proben dabei so vorsichtig und sicher, dass das Gerät die Zulassung als Medizinprodukt der Klasse eins erhalten hat, also auch im Krankenhaus eingesetzt werden darf.

Um den Abstrich vorzunehmen, setzt der Roboterarm zunächst einen desinfizierten Plastikaufsatz durch eine Einlassung in der Scheibe der Teststation. Der Patient muss darauf Nase und Mund aufsetzen und mit einem Pedal bestätigen, dass er bereit für den Abstrich ist. Erst dann führt der Roboter durch den Plastikaufsatz jeweils ein Wattestäbchen in den Rachen bzw. die Nase. Der Abstrich wird von dem Roboter in ein Röhrchen verpackt, der Plastikaufsatz entfernt und der Greifarm desinfiziert – alles vollautomatisch. Patienten, die sich so haben testen lassen, sind von der Roboterlösung überzeugt und würden sich jederzeit wieder von SR-NOCS testen lassen.

 

 

Erfahren Sie mehr über Franka Emika: www.franka.de