Interview mit Calista Redmond

Interview mit Calista Redmond, Geschäftsführerin der RISC-V Foundation

Vor mehr als 20 Jahren begann die Erfolgsgeschichte von Linux als freies, offenes Betriebssystem, an dem jeder mitarbeiten kann. Heute ist Linux das führende Betriebssystem bei Embedded Geräten. Diese Erfolgsgeschichte möchte Calista Redmond jetzt mit Open-Source-Hardware wiederholen. Seit März 2019 ist sie CEO der RISC-V Foundation, die eine offene Befehlssatzarchitektur vorantreibt. Damit soll jedermann Prozessoren ohne die Zahlung von Lizenzgebühren entwickeln, herstellen und verkaufen können. Im Gespräch mit dem Future Markets Magazine erweist sich die studierte Betriebswirtschaftlerin und erfahrene Managerin als überzeugte Verfechterin offener Systeme.

Schon bevor sie Geschäftsführerin bei der Foundation wurde, hat sie unter anderem verschiedene Open-Source-Initiativen bei IBM begleitet. Hier hat sie gelernt, wie durch die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen die Einführung neuer Technologien beschleunigt werden kann. Und als Mitgründerin von gleich vier erfolgreichen Start-ups weiß sie, wie man mit einer Vielzahl von Interessengruppen zusammenarbeitet. Eine Erfahrung, die sie hervorragend auf die Führung der RISC-V Foundation vorbereitet hat. Calista Redmond ist sich sicher:

„Offene Hardware kann Innovationen drastisch beschleunigen und das Spielfeld zum Nutzen des gesamten Ökosystems öffnen.“

Was ist es, dass sie so an der IT-Welt reizt?

Calista Redmond: Technologie ist die stärkste Kraft, um Branchen zu revolutionieren, Unternehmen zu stärken und unser Leben zu verbessern. Jeder kann dabei eine Rolle spielen, und insbesondere Open Source kann die Voraussetzungen verbessern, sich zu engagieren und daran mitzuwirken.

Vor Ihrer Karriere bei IBM haben Sie vier Start-ups mitgegründet. Warum der Wechsel zu einem großen Unternehmen – und dann zu einer Stiftung?

C. R.: Man lernt enorm viel, wenn man allein ein Unternehmen gründet und aufbaut – von jeder Ecke und Facette des Unternehmens. Und von großen Unternehmen kann man ausgereifte Best-Practice-Verfahren und Methoden übernehmen. Aus beiden Erfahrungen ist mir klar geworden, dass die beste Wirkung durch Zusammenarbeit erzielt wird.

Daher wollte ich meine Open-Source-Erfahrungen erweitern. Eine Open-Source-Community ermöglicht eine enge Zusammenarbeit, die mit gemeinsamen, langfristigen strategischen Interessen verbunden ist. Ich beschäftige mich seit Jahren intensiv damit, die Open-Source-Ideologie in Hardware einzubringen. Und die RISC-V ist eine beeindruckende Architektur und Gemeinschaft, mit der man das aufbauen kann.

Warum benötigt die Branche offene Hardwarelösungen?

C. R.: Obwohl es Open-Source-Software schon seit Jahrzehnten gibt, gab eine größere Herausforderung. Und zwar die Branche zur Zusammenarbeit und Einführung offener Hardwarelösungen zu bewegen. Mit Hardwaredesigns sind besondere Herausforderungen verbunden – einschließlich Entwicklungszeit und -kosten. Und genau das ist der Grund, weshalb die Industrie offene Hardwarelösungen benötigt.

Unterscheidet sich die Arbeit an einem Open-Source-Projekt von der Arbeit an einem klassischen, proprietären System?

C. R.: Ja, es ist ganz anders, da Sie viele zusätzliche Variablen berücksichtigen müssen. Open-Source-Lösungen müssen für die Anforderungen einer Vielzahl von Unternehmen auf der ganzen Welt geeignet sein, die alle Lösungen für eine Vielzahl von Anwendungen und Branchen entwickeln. Die Interoperabilität zwischen Implementierungen ist bei Open-Source-Lösungen viel wichtiger. Darüber hinaus basieren Open-Source-Projekte auf den Anstrengungen der Gemeinschaft, gemeinsame Ziele und Vorgaben zu erreichen. Zum Dank erlebt man eine Gemeinschaft gleichgesinnter Menschen, die zusammenkommen, um die komplexesten Probleme der Branche gemeinsam zu lösen. Das bedeutet, dass Transparenz im Vordergrund steht und Entscheidungen demokratisch und nicht top-down getroffen werden. Im Kern definieren wir die Grundbausteine, auf denen viele Unternehmen ihre Geschäfte aufbauen können.

Was bedeutet das exponentielle Wachstum beim Einsatz von Embedded Systemen und Edge Computing für Prozessoren im Allgemeinen?

C. R.: Der Bedarf an Rechenleistung von Künstlicher Intelligenz, Maschinellem Lernen, IoT, High Performance Computern sowie Virtual und Augmented Reality hat die Branche massiv unter Druck gesetzt. Neue Anforderungen an die Rechenleistung in verschiedenen Energie- und Leistungsdimensionen haben allgemein die Nachfrage erhöht und den Wettbewerb bei kundenspezifischen, für spezielle Anwendungsanforderungen entwickelten Prozessoren verstärkt. Da Befehlssatzarchitekturen (ISAs) Jahrzehnte alt sind, sind sie nicht für die neuesten Workloads ausgelegt. Die RISC-V ISA ermöglicht es uns, mit einem leeren Blatt Papier zu beginnen und Designs für neue Arbeitslasten zu optimieren, was eine neue Ära des Silizium-Designs und der Prozessorinnovation durch offene Standards einläutet.

Wie ist die Idee von RISC-V entstanden?

C. R.: Im Sommer 2010 startete das Informatik-Team der UC Berkeley ein Projekt zur Entwicklung einer eigenen Designarchitektur. Sie nannten diese Architektur
RISC-V, da es die fünfte große
Iteration des RISC (Reduced Instruction Set Computing) ISA ist. Dieses Projekt wurde von Krste Asanovic, Andrew Waterman und Yunsup Lee mit Unterstützung von David Patterson geleitet, der in den 1980er Jahren Pionierarbeit bei der RISC-V Architektur leistete. Die RISC-V Foundation wurde 2015 gegründet, um die zukünftige Entwicklung und Ausrichtung der RISC-V ISA zu steuern.

Was sind die Vorteile von RISC-V?

C. R.: Die RISC-V ISA ist ein Open-Source-Blueprint für allgemeine und kundenspezifische Prozessoren, mit denen alle Arten von Unternehmen, ob groß oder klein, Innovationen beschleunigen können.

RISC-V bietet einen neuen Level an Freiheit bei der Soft- und Hardware bezüglich der Architektur, und das auf eine offene, erweiterbare Art und Weise. Die offene ISA bietet einfacheren Support von einer Vielzahl von Betriebssystemen, Softwareanbietern und Tool-Entwicklern. RISC-V ist nicht auf einen einzigen Lieferanten angewiesen – es bietet eine Vielzahl von Lieferanten und unterstützt damit unbegrenztes Potenzial für zukünftiges Wachstum. Und schließlich wird keine andere ISA wie die RISC-V ISA entworfen: Sie ermöglicht eine benutzerdefinierte Erweiterbarkeit der Architektur, ohne bestehende Erweiterungen zu beeinträchtigen oder eine Zersplitterung der Software zu verursachen. Aber das sind nur einige der wichtigsten Vorteile von RISC-V.

Was fasziniert Sie persönlich an RISC-V?

C. R.: Im Laufe meiner Karriere war ich stolz darauf, Teil einer Reihe von Open-Source-Initiativen zu sein, die technologische Innovationen vorangetrieben und die die branchenweite Zusammenarbeit gefördert haben. Das RISC-V Ökosystem ist eine der dynamischsten Gemeinschaften, die ich bisher gesehen habe. Im vergangenen Jahr verzeichnete die RISC-V Foundation ein Mitgliederwachstum von mehr als 100 Prozent; mehr als 420 Organisationen, Einzelpersonen und Universitäten aus 28 Ländern und sechs Kontinenten auf der ganzen Welt sind Teil der Foundation. Während die ISA über ihre Wurzeln in der Wissenschaft hinausgewachsen ist, erleben wir immer mehr kommerzielle Akzeptanz und Umsetzung in einer Vielzahl von Branchen. Für mich am wichtigsten ist, dass ich wirklich glaube, durch die Open-Source-Zusammenarbeit wie bei RISC-V die Zukunft der Technologie voranzutreiben. Ich bin stolz darauf, die RISC-V Revolution mit zu führen.

Was haben zum Beispiel die Hersteller von IoT-Geräten davon?

C. R.: Die RISC-V ISA bietet deutlich mehr Kontrolle über Hard- und Software-Implementierungen. Mit RISC-V können Designs für eine Vielzahl von Funktionen wie geringer Energieverbrauch, höhere Leistung und stärkere Sicherheit optimiert werden, während die volle Kompatibilität mit anderen RISC-V-basierten Designs erhalten bleibt. RISC-V macht es für IoT-Hersteller einfacher, die nächste Generation von IoT-Geräten zu entwickeln, die KI-Informationen aus umfangreichen Datenquellen wie Bild, Video, Audio usw. verarbeiten können und von Anfang an Sicherheit zu integrieren.

Wie haben etablierte Chiphersteller darauf reagiert?

C. R.: RISC-V hat eine kritische Masse von Unternehmen erreicht, die RISC-V einsetzen und zum Ökosystem beitragen, darunter mehrere Chiphersteller. Ich gehe davon aus, dass wir in den kommenden Jahren noch mehr Interesse von Chipherstellern sehen werden. Denn sie können mit RISC-V ihr Angebot erweitern und die Bedürfnisse ihrer Kunden besser erfüllen.

Warum ist RISC-V gerade für Embedded und Edge Systeme so interessant?

C. R.: Unternehmen profitieren von der kostenlosen und offenen RISC-V ISA. RISC-V öffnet die ehemals „geschlossene“ Architektur und ermöglicht Innovationen, die wiederum neue Chancen und Anwendungen anstoßen. Mit seinem robusten Ökosystem beschleunigt RISC-V die Markteinführung und reduziert Risiken und Investitionen, so dass Unternehmen innovative Lösungen ohne großes Budget oder Team entwickeln können. Darüber hinaus bietet RISC-V die Möglichkeit, mit seiner schichtenbasierten und erweiterbaren ISA Tausende von möglichen kundenspezifischen Prozessoren zu erstellen. Unternehmen können den minimalen Befehlssatz, klar definierte oder kundenspezifische Erweiterungen implementieren, um speziell für die nächste Generation von Edge Computern zugeschnittene Prozessoren zu entwickeln.

Wer setzt RISC-V heute schon ein? In welchen Anwendungen?

C. R.: Die RISC-V Foundation hat eine unglaublich dynamische Community mit 420 Mitgliedern aus den verschiedensten Branchen: Anwendungsprozessoren und Grafik, kommerzielle Chips, Beratung und Forschung, Entwicklungswerkzeuge, Foundry-Services, FPGAs, IPund Design-Services, Maschinelles Lernen und KI, Netzwerke, Halbleiter-IP sowie Software und Cloud. Auf unserer Webseite ist eine Liste verschiedener Cores und SoCs zu finden, die sich um die Umsetzung der RISC-V Spezifikation bemühen.

Eine Ihrer Aufgaben bei der RISC-V Foundation ist es, die weltweite Einführung von RISC-V Ökosystemen voranzutreiben. Wie weit ist dieser Prozess heute fortgeschritten?

C. R.: RISC-V hat weltweit eine starke Akzeptanz erfahren, einschließlich staatlicher RISC-V Initiativen in China, der Europäischen Union und Indien. Zusätzlich zu den von der Foundation geleiteten Arbeitsgruppen und Aktivitäten gibt es zahlreiche RISC-V Gruppen und Veranstaltungen auf der ganzen Welt. In den nächsten Jahren werden wir mehr Consumer-Geräte sehen, die auf RISC-V basierenden Lösungen aufbauen – neben HPC-Systemen, Servern und anderen Rechenmaschinen.

RISC-V – Offenheit fürs Chip Design

RISC-V
Von der offenen Befehlssatzarchitektur RISC-V kann nahezu jede Art von elektronischen Entwürfen profitieren. Denn sie ist die Basis für schnelle, kleine, leistungsfähige und energieeffiziente Prozessoren, die für viele Applikationen nutzbar sind. Eine Implementation ist dabei sowohl für FPGAs, ASICs oder kundenspezifische CPUs möglich. RISC-V ist unter einer BSD-Lizenz verfügbar, die es jedermann erlaubt, Prozessoren auf Basis dieser Architektur ohne die Zahlung von Lizenzgebühren zu entwickeln, herzustellen und zu verkaufen.

Bei dem „Reduced Instruction Set Computer V“, kurz RISC-V, handelt es sich um eine offene Befehlssatzarchitektur (Instruction Set Architecture). Eine Besonderheit von RISC-V ist, dass die jetzige Befehlssatzarchitektur festgeschrieben ist – so ist sichergestellt, dass heute entwickelte Programme auf zukünftigen RISC-V-Prozessorkernen laufen. Davon profitieren besonders Embedded Designs mit einer sehr langen Lebensdauer.

Zudem ist die RISC-V Architektur modular und erweiterbar. So können Prozessoren entwickelt werden, die einen genau auf die jeweilige Anwendung zugeschnittenen Funktionsumfang bieten. Es sind weniger als 50 Basisbefehle nötig, und selbst wenn alle Basisbefehle und optionalen Erweiterungen zum Einsatz kommen, führt der RISC-V Core weniger als 200 Befehle aus. Andere gängige RISC-V Architekturen beinhalten im Vergleich dazu mehr als 1.000 Befehle. Aufgrund der geringeren Anzahl von Befehlen lassen sich RISC-V Prozessoren kleiner gestalten als andere Architekturen, was wiederum einen geringeren Stromverbrauch zur Folge hat. Dank der Offenheit können mit RISC-V zudem Schnittstellen, Busse und Peripheriegeräte ausgewählt werden, die für eine Anwendung am besten geeignet sind.

 

Erfahren Sie mehr über die RISC-V Foundation: www.risc.org

 

Weitere Artikel

  • ACAPs sind hochintegrierte, heterogene Multi-Core-Rechenplattformen, die die Möglichkeiten von FPGAs deutlich erweitern und effizienter als andere arbeiten. Sie sind die nächste Generation…

  • Dank immer leistungsfähigerer Hardware können Edge Geräte heutzutage KI-Applikationen durchführen. Damit müssen Daten nicht mehr in die Cloud übertragen werden, was KI-Applikationen…

  • Was sind Human-Machine-Interfaces? Die Datenverarbeitung und -Speicherung erfolgt direkt in den Geräten vor Ort. Dadurch ist in vielen Fällen auch eine Schnittstelle…