Neue Regularien, Fragen der Sicherheit und Cybersecurity, Umwälzungen in der Autoindustrie – die Teilnehmer am TQ-Round-Table nennen viele Herausforderungen autonomer Fahrzeuge, die vor dem breiten Einsatz dieser gemeistert werden müssen. Dennoch sind sie sich sicher – sie werden kommen.
Warum nicht“, meint Prof. Dr. Amos Albert, Geschäftsführer von Deepfield Robotics, auf die Frage, ob er sich auch von einem autonom fahrenden Auto zum Expertengespräch hätte fahren lassen. Prof. Dr.-Ing. Eric Sax, Direktor am FZI Forschungszentrum Informatik in Karlsruhe, ist da zurückhaltender: „Ich möchte nicht in einem Fahrzeug fahren, ohne auf die Fahrbahn zu schauen. Dafür sind die Systeme noch nicht ausgereift genug.“ Darin sind sich im Grunde genommen alle Round-Table-Teilnehmer einig. „Heute gibt es noch kein Fahrzeug auf dem Markt, das mehr als Level 3 hat“, so Jens Kahrweg, General Manager EMEA bei Savari. Das liege aber auch daran, dass die Gesetze noch nicht angepasst und Haftungsfragen noch nicht geklärt sind. Auch Prof. Sax sieht die größte Schwierigkeit nicht in der Technologie, die im Großen und Ganzen bereits verfügbar sei, sondern vielmehr in der Absicherung der autonomen Systeme: „Bei den klassischen Methoden wird geschaut, ob das System die Aktion ausführt, die vorher festgelegt wurde. Doch die Vielfalt der Situationen, die im täglichen Straßenverkehr auftritt, wird mit dieser Vorgehensweise nicht mehr abgebildet werden können.“ Die Ausfallwahrscheinlichkeit von Hardware und Software zu berechnen, reicht nicht, um die Sicherheit eines autonomen Fahrzeugs zu bestimmen, meint auch Dr. Albert. „Wenn sich die Umgebungsbedingungen zu schnell verändern, kann die Sicherheit des Systems nicht berechnet werden. Man braucht andere Methoden.“ Eine Möglichkeit, so der Geschäftsführer von Deepfield Robotics, ist die Bewährtheitsprüfung – also Fahrzeuge möglichst viele Kilometer mit aktivierter Technologie, aber überwacht fahren zu lassen, um die Zuverlässigkeit nachzuweisen. Eine andere Methode ist die Definition von sicheren Zuständen und anschließend sicherzustellen, dass das Fahrzeug diesen Zustand im Krisenfall auch einnimmt. „Dann müssen nicht mehr so viele mögliche Situationen berechnet werden“, so Albert.
„Wird autonomes Fahren als Service verkauft, verringert das auch die Einstiegsbarriere für den Nutzer.“
Prof. Dr. Amos Albert, Geschäftsführer, Bosch Deepfield Robotics
KI und V2X in wenigen Jahren verfügbar
Doch die Vielzahl der möglichen Umfeldsituationen, auf die ein autonomes Fahrzeug reagieren muss, bedeutet nicht nur für die Sicherheit und Zuverlässigkeit eine Herausforderung, wie Prof. Sax betont: „Da man nicht alle Ereignisse vorhersehen kann, benötigt ein autonomes Fahrzeug künstliche Intelligenz.“ Damit kann es selbstständig Erfahrungen machen und richtige Reaktionen erlernen. Noch steht die Technologie am Anfang. „Aber in wenigen Jahren ist das keine Barriere mehr“, ist sich Dr. Amos Albert sicher. „Die Rechen-Power ist dann mit Cloud-basierten Systemen und Deep-Learning-Anwendungen vorhanden.“
„Das autonome Fahren wird ganze Geschäftsmodelle
revolutionieren.“Thomas Staudinger, Vice President Marketing, EBV Elektronik
Das erlernte Wissen sollen die autonomen Fahrzeuge in Zukunft untereinander weitergeben. „Die dafür notwendige Vernetzung der Fahrzeuge fehlt aber heute noch“, meint Jens Kahrweg von Savari. Das im Jahr 2008 gegründete Unternehmen entwickelt die hierfür notwendigen V2X-Lösungen. „So eine Vernetzung würde wie ein weiterer Sensor wirken und eine zusätzliche Redundanz bieten, um die Funktionalitäten eines Fahrzeugs abzusichern.“ Noch existiere der zukünftige Mobilfunk-Standard 5G nicht, doch in fünf Jahren sollte das anders aussehen, meint Kahrweg. „Wie flächendeckend das dann ausgerollt ist und ob es dann tatsächlich das alles kann, was gerade versprochen wird, daran arbeiten wir mit der Industrie. Aber dann sollte die Vernetzung von Fahrzeugen umzusetzen sein.“ Bereits eingeführt ist dagegen der modifizierte WiFi-Standard IEEE 802.11p. „Die spannende Frage ist, ob es in Zukunft beide Technologien parallel geben wird – was auch die Vision von Savari ist. Denn unter anderem könnte mit zwei Systemen die Funktionale Sicherheit für automatisierte Fahrzeuge erhöht werden.“
Eine der größten Herausforderungen autonomer Fahrzeuge ist die Cybersecurity
Vernetzung und umfassende Kommunikation erhöht zwar die Sicherheit, bedeutet aber gleichzeitig auch ein Risiko, wie Thomas Staudinger, Vice President Marketing bei EBV Elektronik, betont: „Jeder Punkt, der an so einem Netz hängt, ist ein mögliches Angriffsziel für Hacker. Bei einem erfolgreichen Angriff könnte nicht nur ein einzelnes Auto manipuliert werden, sondern eine ganze Flotte.“ Besonders in den Over-the-air-Updates zukünftiger Fahrzeuge sieht FZI-Direktor Sax ein Risiko: „Es wird Software auf das Auto gespielt – und es ist eine große Herausforderung zu erkennen, ob die valide ist.“ Mit Hardware-Security–Bausteinen, Signierung und Kryptologie ließe sich ein erster Schutzwall aufbauen. „Wir arbeiten zusätzlich an Verfahren der Anomalie-Erkennung“, erzählt Prof. Sax. Das basiert im Kern darauf, dass die üblichen Signale, die innerhalb des Fahrzeugs von den Komponenten ausgetauscht werden, bekannt sind und auf Plausibilität gecheckt werden können. „In dem Augenblick, in dem ein unbekanntes Muster auftaucht, springt die Anomalie-Erkennung an.“ Im Extremfall kann das Fahrzeug dann in einen sicheren Zustand gebracht werden. „Letztendlich ist die Cybersecurity des Autos eine Frage der Systemarchitektur“, meint Staudinger. „Um hier aber eine Lösung zu erhalten, müssen sich die verschiedensten Parteien an einen Tisch setzen – das werden nicht nur die Autohersteller oder Firmen wie Google oder Facebook sein, sondern die unterschiedlichsten Teilhaber an einem solchen Netz.“
„Die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander hat begonnen und die fehlende Vernetzung mit der Infrastruktur wird mit zukünftigen Mobilfunktechnologien flächendeckender ermöglicht werden.“
Jens Kahrweg, General Manager Savari EMEA
Umwälzungen für Autohersteller
Jens Kahrweg sieht dabei Vorteile für Autohersteller, die neu auf den Markt drängen: „Für einen Hersteller, der schon seit Jahren Millionen von Autos produziert hat, ist es ungleich aufwändiger, seine Fahrzeugarchitektur entsprechend komplett umzustellen. Jemand, der von null anfängt, kann diesen Innovationssprung viel einfacher bewerkstelligen.“ Überhaupt werden die etablierten Autohersteller durch das fahrerlose Auto mit erheblichen Umwälzungen zu tun bekommen – denn die Schwerpunkte ändern sich und Software spielt eine ganz andere Rolle. Prof. Sax ergänzt: „Daher tanzen uns die Unternehmen aus dem Silicon Valley auf der Nase herum – aber nur bis zu einem gewissen Grad. Denn die klassischen Autohersteller haben anderes Know-how – zum Beispiel zu Massen- und Variantenfertigung. Allerdings müssen gerade die deutschen Autobauer ein Stück weit dazulernen. In Zukunft wird nicht mehr das Spaltmaß darüber entscheiden, ob ein Auto gekauft wird.“ Auch Prof. Amos Albert glaubt nicht an den Untergang der klassischen Autohersteller: „Sicher, in ausgewählten Software-Technologien sind andere Firmen heute sehr stark. Aber alle arbeiten massiv an neuen Algorithmen und irgendwann wird dieser Drops auch gelutscht sein und die alten Stärken werden wieder eine Rolle spielen.“
Entscheidender für den Erfolg der Autobauer wird sein, ob sie ihre Geschäftsmodelle anpassen können – da sind sich alle Round-Table-Teilnehmer einig. „In Zukunft wird nicht mehr ein Auto verkauft, sondern Mobilität“, beschreibt Thomas Staudinger diese Entwicklung weg vom Produkt – hin zum Service. „Vielleicht werden die Hersteller in Zukunft ihre Autos nicht mehr an Privatkunden verkaufen, sondern nur noch an Flottenbetreiber“, meint Jens Kahrweg und denkt an Fahrdienstanbieter wie Uber oder Carsharing-Betreiber wie Car2go. „Wenn ein Autobauer nur noch für Großkunden produziert, kann aus dem OEM sehr schnell ein Tier1 werden“, so Staudinger. „Und wenn der OEM sich zum Mobilitätsdienstleister entwickelt, kann von unten der Zulieferer nachrücken und entsprechende Wertschöpfung übernehmen“, führt Kahrweg die Überlegung weiter.
„Die Elektromobilität mit elektrifizierten dezentralen Stellgliedern und Nebenverbrauchern wird ein Door-Opener für autonome Fahrfunktionen sein.“
Prof. Dr.-Ing. Eric Sax,
Direktor, FZI – Forschungszentrum Informatik
Aus der Nische
Doch diese Umwälzungen werden nur relevant, wenn sich das autonome Auto tatsächlich am Markt etabliert. Und dazu muss es am besten einen geldwerten Vorteil bringen. „Natürlich ist es ein gutes Ziel, bis 2050 keine Verkehrstoten zu haben“, meint Thomas Staudinger. „Aber letztendlich muss jemand Geld in die Hand nehmen, um autonomes Fahren zu realisieren. Das fällt leichter, wenn ein Plus auf der Profit-seite herauskommt.“ Das ist auch der Grund, warum Prof. Sax felsenfest davon überzeugt ist, dass das autonome Fahren zuerst im Nutzfahrzeugbereich kommt. „Ein Spediteur oder ein Kommunalbetrieb kann schätzungsweise bis zu 50 Prozent seiner Kosten durch autonome Fahrzeuge sparen.“ Das FZI hat zum Beispiel für die Stuttgarter Verkehrsbetriebe errechnet, dass im Jahr weit mehr als 100.000 Euro an Personalkosten gespart werden können, wenn alleine die Fahrten auf dem Betriebshof autonom erfolgen würden. „Das Thema autonomes Fahren wird genau aus diesen Nischen kommen, aus Anwendungen mit überschaubaren Szenarien. Und das ist heute schon machbar“, so Sax.