Die Zukunft des autonomen Fahrens

Die Zukunft des autonomen Fahrens wird nicht nur ein völlig neues Fahrerlebnis bieten. Sie wird auch die gesamte Automobil­­branche ­verändern.

Mehr als 1,2 Milliarden Menschen verbringen pro Tag mehr als 50 Minuten in ihrem Fahrzeug – einen Großteil der Zeit jedoch im Stau. Wie schön wäre es da, wenn man während dieser Zeit die Hände vom Lenkrad nehmen und sich mit sinnvolleren Sachen beschäftigen könnte. In 2017 ist diese Fiktion Realität geworden: In diesem Jahr werden die ersten Serienautos der Welt präsentiert, die für hochautomatisiertes Fahren entwickelt sind. Fahrfunktionen wie Einparken oder selbstständig im Stau Gas geben und bremsen können dann die Fahrzeuge übernehmen.

Scharfe Sicht auf die Umwelt

Eine Grundvoraussetzung für automatisiertes Fahren sind zuverlässige Informationen über die Fahrzeugumgebung und deren präzise Bewertung. „Um Schritt für Schritt diese Informationen zu sammeln, benötigt man eine Reihe von Sensoren wie Radar, Kamera und Surround-View-Systeme. Ziel ist es, ein dem Menschen gleichwertiges oder besseres Verständnis des Fahrzeugumfeldes zu erreichen. Mehr Reichweite, mehr Sensoren sowie die Fusion der gesammelten Daten kombiniert mit hoher Rechenleistung schärfen die Sicht und sind der Schlüssel für eine konsistente Sicht auf die Umwelt“, sagte Karl Haupt, Leiter des Geschäftsbereichs Fahrerassistenzsysteme bei Continental. Das nimmt der britische Autobauer Jaguar Land Rover wörtlich. „Wir möchten zukünftige hochautomatisierte und autonome Technologien nicht nur auf den Asphalt begrenzen“, so Tony Harper, Leiter der Forschungsabteilung. „Wenn der Fahrer die Straße verlässt, möchten wir, dass Unterstützung und Assistenz weitergehen. Wenn man in der Zukunft die Vorteile von autonomen Spurhaltesystemen auf der Autobahn am Anfang der Reise genießt, dann möchten wir sicherstellen, dass man dies alles auch den gesamten Weg zum Ziel nutzen kann, auch wenn es über grobe Fahrwege oder Schotterpisten geht.“ Jaguar Land Rover kombiniert in einem Konzeptfahrzeug dafür Kameras, Ultraschall, Radar und Lidar-Sensoren. Sie ermöglichen nicht nur einen 360-Grad-Blick auf die Umgebung des Autos, sondern sind so hoch entwickelt, dass sie Oberflächen-Charakteristiken bis hinunter zur Dimension einer Reifenbreite bestimmen – auch bei Regen oder Schneefall. Ultraschallsensoren können zudem die Oberflächen-Bedingungen in einer Reichweite von bis zu fünf Metern erkennen, so dass das Fahrzeug automatisch Traktion und Fahrverhalten anpassen kann, wenn es von Asphalt auf Schnee oder von Gras auf Sand fährt.

Das Fahrzeug kommt zum Fahrer

Die Sensorik ist aber nur der eine Part, der andere ist die Intelligenz, aus den Daten Steuerbefehle zu generieren. Das erfordert Hochleistungs-Steuergeräte an Bord der Autos. Beim im Juli 2017 präsentierten Audi A8 zum Beispiel errechnet während der pilotierten Fahrt ein zentrales Fahrerassistenz-Steuergerät mit auf Deep Learning basierender Software aus den Sensordaten permanent ein Abbild der Umgebung. Auch Daimler treibt die Entwicklung des vollautomatisierten und fahrerlosen Fahrens von Seiten der Software voran. Zusammen mit Bosch hat der Hersteller im April 2017 eine Entwicklungskooperation vereinbart, um vollautomatisiertes und fahrerloses Fahren im urbanen Umfeld Anfang der kommenden Dekade auf die Straße zu bringen. Ziel ist die gemeinsame Entwicklung von Software und Algorithmen für ein autonomes Fahrsystem. Die Idee dahinter: Das Fahrzeug kommt zum Fahrer, nicht der Fahrer zum Fahrzeug. Nutzer könnten sich per Smartphone bequem ein Car-Sharing-Auto oder ein Robotertaxi ordern, das fahrerlos zu ihnen gefahren kommt. „Das Auto, wie wir es kennen, ist bald Geschichte“, meint Dr. Volkmar Denner, Vorsitzender der Geschäftsführung von Bosch. „Heute buchen Sie die Übernachtung im Internet, in Zukunft bestellen Sie Ihre Mobilität online.“

„Eine autonome Flotte kann sehr effektiv eine weitaus größere Anzahl an privaten Fahrzeugen ersetzen.“

Neue Geschäftsfelder erschließen

Car-Sharing ist einer der großen Vorteile autonomer Autos. „Studien haben gezeigt, dass eine autonome Flotte sehr effektiv eine weitaus größere Anzahl an privaten Fahrzeugen in einem Stadtzentrum ersetzen kann“, so David Alexander, Senior Research Analyst bei Navigant Research. „Das bedeutet sowohl eine Chance wie auch eine Herausforderung für die Erstausrüster.“ Denn einerseits werden laut Navigant 120 Millionen Autos mit autonomen Fähigkeiten zwischen den Jahren 2020 und 2035 verkauft. Andererseits wird aber erwartet, dass die Automobilproduktion dann auch ihren Zenit erreicht und danach wegen gemeinsam genutzter Autos sinken wird. Daher sollten die Automobilhersteller ihre Business-Modelle entsprechend anpassen und zum Beispiel zusätzliche Mehrwertdienste verkaufen. „Je mehr sich das autonome Fahren durchsetzt, desto größer wird die Nachfrage der Nutzer nach Services sein, um die frei werdende Zeit im Auto sinnvoll zu nutzen“, so Ralf Gaydoul, Partner und Leiter des Automotive Centers bei der Management-Beratung Horváth & Partners. „Summiert man die Werte über alle Bedürfniskategorien hinweg auf, so kommt man auf einen monatlichen Betrag von weit über 100 Euro pro Fahrer.“ Zusammen mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat Gaydoul die Zahlungsbereitschaft von Autofahrern für derartige Services untersucht: Danach wären drei Viertel der Befragten bereit, dafür Geld auszugeben. Am größten ist die Bereitschaft, Geld für Angebote rund um Kommunikation und Produktivität zu investieren. „Diese Services werden in allen drei untersuchten Ländern am stärksten nachgefragt, jedoch mit unterschiedlicher Ausprägung“, so Steffen Braun, Leiter des Geschäftsfelds Mobilitäts- und Stadtsystem-Gestaltung am Fraunhofer IAO. „In Japan ist beispielsweise das Interesse an Social-Media-Diensten während der Fahrt deutlich höher als hierzulande (64 Prozent gegenüber 23 Prozent).“

(Bildnachweis: Continental)

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