Autonome Fahrzeuge wie der HDPR-Mars-Rover sind die Voraussetzung für die Eroberung des Weltalls. Ohne Eingriffsmöglichkeit durch den Menschen müssen sie sich in unbekanntem Gelände bewegen – und dabei auch mal Mut zeigen.
Als verlängerter Arm des Menschen im Weltall können intelligente Roboter die Zukunft der Raumfahrt langfristig verändern. Weitgehend autonome Fahrzeuge werden auf Himmelskörpern landen, sie erkunden und damit die Erschließung des Sonnensystems vorantreiben. Hohe Mobilität, präzise Manipulation sowie Robustheit und Zuverlässigkeit der robotischen Systeme sind entscheidend für den Erfolg.
„Auf dem Mars ist eine Fernsteuerung unmöglich. Daher wird ein selbstnavigierender Rover als notwendige Technik für zukünftige Missionen angesehen.“
Levin Gerdes, Robotik-Ingenieur, ESA
Besondere Bedingungen erfordern besondere Chips
Das erfordert allerdings eine speziell angepasste Elektronik, denn die Umgebungsbedingungen im Weltraum sind ungleich härter als auf der Erde. Extreme Temperaturschwankungen, Strahlung oder hohe Beschleunigungskräfte sind nur einige der Belastungen, die auf Geräte und Komponenten wirken. Gerade die kosmische Strahlung – Sonnenwind und andere geladene Teilchen aus dem ga-laktischen Hintergrund – kann strukturelle Schäden im Kristallgitter von Chips anrichten und Fehler in Rechenprozessen verursachen. Um das zu vermeiden, müssen die Chips mit anderen Verfahren als ihre „irdischen“ Pendants gebaut werden: Zum Beispiel wird das Silizium-Substrat, auf dem herkömmliche Chips aufsetzen, durch Aluminiumoxid ersetzt. Denn Silizium kann unter dem Beschuss kosmischer Strahlung seine Wirkung als Isolator verlieren, anders als Aluminiumoxid.
Doch da diese Abhärtung teuer ist und die Chips nicht auf den aktuellen Produktionsanlagen hergestellt werden können, verwendet man alte bewährte Chips. So basiert zum Beispiel der Standard-Raumflugprozessor der NASA, der RAD750, auf einem 1998 vorgestellten Power PC 750-Prozessor. Er arbeitet zwar zuverlässig in einem Temperaturbereich zwischen −55 und 125 °C und ist strahlungsresistent bis 200.000 RAD Gesamtdosis, doch er ist nach heutigen Maßstäben auch sehr langsam. Die Performance liegt bei maximal 200 MHz. Zum Vergleich: Ein aktueller Chip arbeitet mit einer Taktfrequenz von bis zu 5 GHz.
Raumfrachter mit Augen und Gehirn
Autonome Fahrzeuge benötigen jedoch schnelle Prozessoren. Das Goddard Space Flight Center der NASA hat daher bereits 2009 eine neue Prozessortechnologie demonstriert: Der SpaceCube-Prozessor ist um den Faktor 10 bis 100 schneller als der RAD750. Um das zu erreichen, haben die Goddard-Techniker strahlungsresistente Schaltkreise, die spezifische Rechenaufgaben simultan ausführen, mit Algorithmen kombiniert, die durch Strahlung verursachte Fehler in den Daten entdecken und reparieren können. Dieses System ist fast genauso zuverlässig wie der RAD750, aber aufgrund seiner vielfach höheren Geschwindigkeit in der Lage, auch komplexe Berechnungen auszuführen, die bisher auf „irdische“ Systeme begrenzt waren. Zum Einsatz kommt der Prozessor zum Beispiel im Raven-Modul: Mit diesem System sollen zukünftig Versorgungsfrachter autonom an die ISS andocken können. Raven ist dafür mit Kamera-, Infrarot- und Lidar-Sensoren sowie Algorithmen für das maschinelle Sehen ausgestattet. „Die Sensoren dienen als Augen. SpaceCube übernimmt die Rolle des Gehirns, analysiert die Daten und sagt den Komponenten, was sie tun sollen“, so Ben Reed, stellvertretender Abteilungsleiter der Satellite Servicing Projects Division von Goddard.
Auf dem Mond kann der Mensch noch eingreifen
Ohne derartige „gehärtete“ Chips werden auch die Rover nicht auskommen, die am Google Lunar Xprize Wettbewerb teilnehmen: Wem es als erstem privatwirtschaftlichen Team gelingt, einen Rover bis Ende 2017 auf den rund 400.000 Kilometer entfernten Mond zu schießen, ihn 500 Meter fahren zu lassen sowie HD-Videos und Bilder zur Erde zu senden, dem winkt ein Preisgeld von 20 Millionen Dollar. Xprize hat aktuell die Startvereinbarungen für 2017 von fünf Teams bestätigt. Mondfahrzeuge wie der Telsa Prospector und Surveyor des Synergy Moon Teams sind immerhin in der Lage, grundlegende autonome Funktionen durchzuführen. Sie können sich selbst überwachen und Erkundungsmissionen selbstständig durchführen. Dabei besteht aber immer die Möglichkeit, per Fernsteuerung von der Erde aus Einfluss zu nehmen.
Auf dem Mars auf sich gestellt
„Der Mond ist nahe genug für eine direkte Fernsteuerung, wenngleich eine kleine Zeitverzögerung auftritt“, erklärt Levin Gerdes, Robotik-Ingenieur bei der europäischen Raumfahrtorganisation ESA. „Aber auf dem Mars macht die Entfernung dies unmöglich.“ Aktuelle Mars-Rover erhalten daher in regelmäßigen Abständen Befehle per Upload, die sie dann schrittweise abarbeiten. „Das ist aber ein sehr langsamer Prozess“, so Gerdes. „Daher wird ein schnellerer, selbstnavigierender Rover als notwendige Technik für zukünftige Missionen angesehen – wie ein autonomes Auto auf der Erde. Aber ohne Straßen muss der Rover seine Route selber ausarbeiten – zunächst, indem er Bilder aufnimmt, diese zur Erstellung einer Karte der Umgebung nutzt, Hindernisse identifiziert und anschließend einen Pfad plant, auf dem er sicher das vorgegebene Ziel erreicht.“ Dass dies möglich ist, hat Gerdes mit einem ESA-Team im Sommer 2017 auf Teneriffa bewiesen: Der Teide National Park bietet eine mondähnliche Oberfläche – mit Sand und kleinem Geröll. Hier konnte das ESA-Team die autonome Navigation ihres Heavy Duty Planetary Rover (HDPR) unter realistischen Bedingungen testen. Mit seinen sieben Kameras und Sensordaten unter anderem von Time-of-Flight-Kameras, Lidar und GPS hat es das Fahrzeug tatsächlich geschafft, sich selbstständig auf dem schwierigen Terrain zurechtzufinden. „Wir haben eine ganze Anzahl von Läufen geschafft, der längste ging über eine Strecke von mehr als 100 Metern“, so Gerdes. „Am Ende hat uns der Rover informiert, dass das ausgewählte Ziel nicht erreichbar sei – was auch stimmte: Die Abhänge waren zu steil, als dass eine sichere Überquerung garantiert werden konnte.“
Mutige Entscheidungen treffen
Doch nicht immer hat die Sicherheit oberste Priorität, manchmal ist der Erfolg einer Mission wichtiger als ein potenzieller Schaden an der Hardware. Ein autonomer Mars-Rover muss also auch einmal etwas wagen. Genau das wollen die am Projekt „intelliRISK“ beteiligten Wissenschaftler Robotern beibringen: Sie sollen Risiken selbstständig einschätzen können und die Fähigkeit haben, Situationen bewusst abzuwägen sowie Entscheidungen zu treffen. Bei dem Projekt im Einsatz ist Lauron, ein am Forschungszentrum Informatik (FZI) am Karlsruher Institut für Technologie entwickelter Laufroboter, der in der Lage ist, sich selbst auf unwegsamem Gelände sicher fortzubewegen. Mit dem einprogrammierten Mut soll der Roboter – wenn er sich beispielsweise mit einem steilen Hang oder einem weiten Graben konfrontiert sieht – in der Lage sein, Risiken zu erkennen, einzuschätzen und bewusst einzugehen. Dabei kann der Roboter zu Beginn der Mission noch vorsichtig und zurückhaltend handeln, später aber, gegen Ende seiner Lebenszeit, auch mutigere Entscheidungen fällen. „Mit dem Projekt intelliRISK leisten wir einen wichtigen Beitrag zur Steigerung der Autonomie auf dem Gebiet der Robotik“, so Arne Rönnau, der für das Projekt verantwortlich ist. Neben der Raumfahrt könnte das System auch in anderen Bereichen zum Einsatz kommen. „Das Risikobewusstsein kann in Zukunft auch in Industrie-4.0-Anwendungen genutzt werden, um sicherer mit Menschen kooperieren und Unfälle vermeiden zu können“, meint der Robotikexperte.