Künstliche Intelligenz gilt als eine Kerntechnologie für autonome Fahrzeuge. Lernfähige Steuergeräte ermöglichen die Verarbeitung der immensen Datenmengen, die die Umfeldsensorik liefert, und leiten die passenden Aktionen ab.
Um ein Fahrzeug autonom fahren zu lassen, genügt es nicht, es nur mit vielen Sensoren zur Umfelderfassung auszurüsten. Es muss auch in der Lage sein, die immensen Datenmengen zu verarbeiten – und das in Echtzeit. Herkömmliche Computersysteme sind damit überfordert. Die Lösung sind Elektronik und Software, die es ermöglichen, die Funktionen des menschlichen Gehirns nachzuahmen. Artificial Intelligence, Cognitive Computing und Machine Learning bezeichnen verschiedene Aspekte derartiger moderner Computersysteme. „Im Kern geht es darum, die menschliche Wahrnehmung, seine Intelligenz und sein Denken mithilfe von Computern und spezieller Software nachzubilden, zu unterstützen und zu erweitern“, sagt Dr. Mathias Weber, Bereichsleiter IT-Services beim Branchenverband Bitkom.
Die Nachfrage wächst
Künstliche Intelligenz, im Englischen Artificial Intelligence (AI), wird schon heute serienmäßig eingesetzt – sie steckt zum Beispiel in digitalen Assistenten wie Siri, Cortana oder Echo. Die Grundannahme der AI lautet, dass menschliche Intelligenz das Ergebnis verschiedener Berechnungen ist. Dabei lässt sich die künstliche Intelligenz selbst auf verschiedene Weise erzeugen. Mittlerweile gibt es Systeme, deren Hauptaufgabe darin besteht, Muster zu erkennen und infolgedessen entsprechende Handlungen auszuführen. Außerdem gibt es die sogenannten wissensbasierten AI-Systeme. Diese versuchen, anhand des in einer Datenbank gespeicherten Wissens Probleme zu lösen. Andere Systeme setzen wiederum Methoden aus der Wahrscheinlichkeitsrechnung ein, um auf gegebene Muster angemessen zu reagieren. „Ein AI-System lernt kontinuierlich aus Erfahrung und aus seiner Fähigkeit, die Umgebung wahrzunehmen und zu erkennen“, so Luca De Ambroggi, Analyst bei IHS Technology. „Es lernt, wie der Mensch, aus realen Geräuschen, Bildern und anderen Sensor-Inputs. Das System erkennt das Umfeld des Fahrzeugs und schätzt die kontextabhängigen Auswirkungen für das fahrende Fahrzeug ab.“ IHS erwartet, dass alleine die Verkaufszahlen von AI-Systemen, die in Infotainment und Fahrassistenzsystemen verbaut werden, bis zum Jahr 2025 auf 122 Millionen Stück steigen (zum Vergleich: In 2015 lagen sie noch bei sieben Millionen).
Die Einführung von künstlicher Intelligenz hat auch direkte Auswirkungen auf die Prozessorentechnologie: Herkömmliche Rechenkerne, die CPUs, werden ersetzt durch neue Architekturen. So werden Grafikkarten-Kerne (GPU) seit einigen Jahren als Kerntechnologie für die Künstliche Intelligenz angesehen: Während CPU-Architekturen, Aufgaben seriell hintereinander berechnen, können GPU mit ihren vielen kleinen effizienten Computereinheiten Aufgaben parallel abwickeln und sind so bei großen Datenmengen wesentlich schneller. Die Steueralgorithmen der neuen Chips enthalten bereits Elemente neuronaler Netze, die in selbstlernenden Maschinen zum Einsatz kommen. So ein neurales Netzwerk besteht aus künstlichen Neuronen und orientiert sich hinsichtlich seines Aufbaus und seiner Funktionsweise am menschlichen Gehirn. Dadurch ist ein neurales Netzwerk in der Lage, besonders realistische Berechnungen zu erstellen. Wie der Mensch können kogni-tive- IT-Systeme (Cognitive Computing) In–formationen aus ihrem direkten Umfeld aufnehmen – statt mit Augen, Ohren und -andere Sinnen nutzen sie dafür Sensoren wie -Kameras, Mikrofone oder Messgeräte.
Reifen mit AI
Der Reifenhersteller Goodyear hat in 2016 das Konzept eines kugelförmigen Reifens mit künstlicher Intelligenz vorgestellt. Zusammen mit einer bionischen Außenhaut, die von einem Sensornetzwerk durchzogen ist, und einer veränderungsfähigen Lauffläche kann er die Informationen, die er sammelt, direkt in die Fahrpraxis umsetzen. Er verknüpft Informationen miteinander und verarbeitet sie mithilfe seines neuralen Netzes, das über selbstlernende Algorithmen verfügt, sofort weiter. So kann der Eagle 360 Urban in jeder Situation des Verkehrsalltags die richtige Entscheidung treffen. Aufgrund seiner künstlichen Intelligenz lernt er aus früheren Erfahrungen und kann sein Verhalten fortlaufend optimieren. Auf diese Weise fügt der Reifen bei Nässe Vertiefungen hinzu und strafft die Lauffläche wieder, wenn es trocken ist.
Lernfähige Steuergeräte
Mit den neuen Prozessorarchitekturen erhalten Fahrzeuge die Fähigkeit, die immensen Datenmengen zu -bewerten und die Bewertungen selbstständig zu verbessern und zu erweitern. Dieses maschinelle Lernen (im Englischen Machine Learning) gilt als Schlüsseltechnologie auf dem Weg zur künstlichen Intelligenz. Zum maschinellen Lernen gehört auch das sogenannte Deep Learning, das zur Interpretation von Signalen nicht auf mathematische Regeln, sondern auf Erfahrungswissen zurückgreift. Dabei verändern die Software-Systeme ihre Programmierung durch Experimentieren selbst – es „gewinnt“ jenes Verhalten, das am verlässlichsten zu einem gewünschten Ergebnis führt. Inzwischen bieten verschiedene Autozulieferer Steuergeräte an, die bereits mit Deep-Learning-Fähigkeiten ausgestattet sind.
Aktuelle elektronische Steuer-einheiten (Electronic Control Units – ECU) in Fahrzeugen bestehen in der Regel aus verschiedenen Rechnereinheiten, die jeweils ein System oder eine spezifische Funktion steuern. -Deren Rechenleistung wird für das autonome Fahren nicht mehr ausreichen. AI-basierte Steuereinheiten dagegen zentralisieren die Steuerungsfunktion: Alle Informationen der verschiedenen Datenquellen eines autonomen Fahrzeugs – auch von der Infrastruktur oder von anderen Verkehrsteilnehmer – laufen hier zusammen und werden mit einer leistungsstarken AI-Rechenplattform verarbeitet. So „versteht“ das Steuergerät das komplette 360-Grad-Umfeld um das Fahrzeug herum in Echtzeit. Es weiß, was um das Fahrzeug herum passiert und kann daraus Aktivitäten ableiten. Jensen Huang, CEO von Nvidia, ist mit seinem Unternehmen Partner verschiedener Automotive-Hersteller bei der Entwicklung derartiger Steuergeräte. Er ist sich sicher: „Künstliche Intelligenz ist ein unverzichtbares Werkzeug, um die unglaublich große Herausforderung des autonomen Fahrens lösen zu können.“