Hände vom Lenkrad

In Amsterdam ist der weltweit erste autonomer Bus im realen Verkehrsgeschehen unterwegs. Noch ist ein Fahrer an Bord.

Irgendwo zwischen Flughafen Amsterdam Schiphol und der Stadt Haarlem, auf der längsten Expressbus-Linie Europas: Ein Bus wartet vor einer Ampel auf das Signal loszufahren. Zwei rote Punkte nebeneinander bedeuten auf dieser Ampel Stopp, zwei weiße Punkte übereinander freie Fahrt. Die Ampel springt auf Weiß, sanft setzt sich der Bus in Bewegung und ordnet sich in seiner Spur ein. Rote Ampel voraus – sicher und sanft bremst der Omnibus ab und kommt zum Stehen. Gefahren wird der Bus dabei nicht von einem Menschen, sondern von der Elektronik. Denn es ist der erste autonom fahrende Stadtbus weltweit, der im realen Stadtverkehr unterwegs ist.

Erster autonomer Bus

Allerdings ist immer noch ein Fahrer an Bord. Der ist auf der weiteren Fahrt jedoch etwas unterbeschäftigt, denn der Omnibus hält sicher seine Spur. Er lässt sich auch von zwei Brücken und einer Unterführung nicht irritieren. Nach dem Ortsende beschleunigt er auf die erlaubten 70 km/h. Das Maximaltempo ist programmiert, auch bei dieser Geschwindigkeit lenkt nicht der Fahrer. Automatisiert kommt der Bus an die Haltestelle: anhalten, Türen öffnen und schließen, abfahren. An der nächsten Ampel erkennt der Bus die Stellung des Lichtsignals über sein aufwändiges Kamerasystem. Darüber hinaus kommuniziert das Fahrzeug über ein WLAN-System mit der Streckeninfrastruktur und erhält Informationen zum Ampelstatus. So kann gezielt eine grüne Welle „erfahren“ werden. Während die Ampel umspringt, laufen noch Fußgänger über die Straße. Der Bus verharrt, lässt sie vorüber, wartet mit dem Anfahren, bis die Fahrbahn frei ist. Zur Vermeidung einer Kollision verfügt der Bus über ein automatisches Bremssystem, das selbsttätig eine Zielbremsung einleitet.

Entwicklung speziell für Großstädte

Seit 2016 wird dieser Future Bus von Daimler in Amsterdam auf der Expressbus-Linie (Bus Rapid Transit, BRT) im realen Verkehrsgeschehen getestet. Daimler arbeitet seit einigen Jahren daran, die Technologie des autonomen Fahrens weiterzuentwickeln und zur Serienreife zu bringen. So ist die neue Mercedes-Benz E-Klasse das weltweit erste Serienfahrzeug, das eine Testlizenz für autonomes Fahren im US-Bundesstaat Nevada erhielt. Und der Lkw-Ableger Daimler Trucks hat mit dem in Erprobung befindlichen Highway Pilot ein System entwickelt, das teilautomatisiertes Fahren ermöglicht. Dr. Wolfgang Bernhard, Mitglied des Vorstands der Daimler AG und verantwortlich für Daimler Trucks & Buses: „Mit unserem Highway Pilot haben wir vor knapp zwei Jahren gezeigt: autonomes Fahren wird den Lkw-Fernverkehr effizienter und sicherer machen. Jetzt bringen wir diese Technologie in unsere Stadtbusse: den City Pilot. Das System ist eine Weiterentwicklung speziell für Großstädte. Damit fahren wir teilautonom auf speziell ausgewiesenen Busspuren.“ BRT-Linien wie die in Amsterdam bieten sich als erster Schritt zum vollautomatisierten Fahren mit Bussen im Stadtverkehr an: eine immer gleiche Strecke auf separater Trasse, ein klar definierter Fahrplan, eindeutige und identische Aktionen an Haltestellen.

Kameras und Sensoren intelligent miteinander vernetzt

Der autonom fahrende Bus erkennt, ob die Strecke vor ihm für automatisiertes Fahren geeignet ist und signalisiert dies dem Fahrer. Ein Tastendruck vom Busfahrer aktiviert den City Pilot. Voraussetzung: Der Fahrer nimmt den Fuß von Gas- oder Bremspedal und lenkt nicht, denn jede Fahreraktivität überlagert das Steuerungssystem – der Fahrer bleibt stets Herr des Verfahrens und kann die Kontrolle übernehmen. Die Lösung zum autonomen Fahren umfasst sowohl aktuelle Assistenzsysteme, die zum Beispiel für die Reisebusse von Mercedes-Benz verwendet werden, als auch zusätzliche Systeme, die teilweise von Daimler Trucks übernommen und für den Stadtverkehr weiterentwickelt wurden. Dazu gehören Fern- und Nahbereichsradar, eine Vielzahl von Kameras sowie das satellitengesteuerte Ortungssystem GPS. Kameras und Sensoren sind intelligent miteinander vernetzt, so dass ein präzises Bild der Umgebung und der exakten Position des Omnibusses entsteht.

Rechtlicher Rahmen fehlt noch

Der teilautonom fahrenden Stadtbus soll die Sicherheit im Stadtverkehr deutlich steigern. Experten rechnen damit, dass durch autonomes Fahren bis zum Jahr 2035 die Unfallzahlen um voraussichtlich 80 Prozent sinken. Zudem verbessert der Future Bus dank seiner vorausschauenden Fahrweise die Effizienz, schont Aggregate und senkt Kraftstoffverbrauch wie Emissionen. Und durch die fließende, gleichmäßige Fahrt erhöht er zudem den Komfort der Fahrgäste. Doch noch erlauben die Gesetze keinen autonomen Regelbetrieb auf den Straßen. „Wir müssen die Regelwerke des 20. Jahrhunderts zügig an das 21. Jahrhundert anpassen“, meint daher Dr. Bernhard. „Dabei dürfen wir uns allerdings nicht verzetteln. Bevor wir über alle möglichen Fragen des vollautonomen Fahrens diskutieren, müssen wir erst mal teilautonomes Fahren ermöglichen. Wir müssen dem Fahrer erlauben, die Hände vom Lenkrad zu nehmen.“

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