Eine nachhaltige Stadt bedeutet auch, dass der in ihr produzierte Müll effizient entsorgt und möglichst vollständig wiederverwendet werden kann. Eine automatische Müllentsorgung ist dabei nur ein erster Schritt, das Ziel ist es, die Stadt als Rohstoffquelle nutzbar zu machen.
Kein Müllfahrzeug verstopft die Straßen von Gujarat International Finance Tec-City – kurz GIFT City – in Indien. Nicht etwa, weil hier kein Abfall produziert wird. Im Gegenteil, wenn die Stadt mit ihren 25.000 Appartements, 100.000 Bewohnern und über 500.000 Arbeitsplätzen komplett fertiggestellt ist, werden rund 400 Tonnen Müll täglich anfallen. Doch statt diesen Müll in Tonnen zu füllen und an die Straße zu stellen, sind die 25 bis 60 Stockwerke hohen Gebäude – von denen es über 100 in der Stadt gibt – mit Müllschächten ausgestattet. Der in sie gekippte Müll fällt nicht einfach in eine daruntergestellte Tonne, sondern wird über ein Vakuumsystem der schwedischen Firma Envac mit einer Geschwindigkeit von rund 90 Kilometern pro Stunde in eine von sieben Sammelstationen „gesaugt“. Auch öffentliche Abfallbehälter sind an das System angeschlossen: Ein Füllstandssensor erkennt, wenn die Papierkörbe voll sind.
Dann öffnet sich ein Ventil unter dem Papierkorb, der Abfall wird automatisch in das Vakuumsystem entleert und zur Sammelstation befördert. Hier wird der organische Abfall aussortiert und der restliche, recycelbare Müll getrennt. Der verbleibende Restmüll wird durch Plasmavergasung in ein Synthesegas verwandelt, das wiederum zur Erzeugung von Strom für die Smart City genutzt wird. Übrig bleibt lediglich Schlacke, die zum Beispiel im Straßenbau eingesetzt werden kann. Die erste Ausbaustufe des Systems ist bereits seit April 2015 im Einsatz, das gesamte Projekt soll bis spätestens 2028 fertiggestellt sein. „GIFT City ist Indiens erste Smart City, die als Finanzmetropole entwickelt wurde. Als Smart City wird der größte Teil der von uns entwickelten Infrastruktur einen Mehrwert für die Gesamtentwicklung schaffen. Das automatisierte Abfallsammelsystem auf Stadtebene wird das Sammeln und Beseitigen des Mülls durch den Menschen ersetzen“, so Ramakant Jha, Managing Director und Group CEO von GIFT City.
Sensoren melden volle Mülltonnen
Die Realisierung eines unterirdischen Vakuum-Rohrsystems für die Abfallentsorgung lässt sich bei komplett neu gebauten Städten relativ leicht umsetzen, bei vorhandenen, über Jahre gewachsenen Städten wäre das jedoch eine sehr teure und aufwändige Maßnahme. Dennoch müssen auch diese Städte nicht auf mehr Intelligenz in ihrer Müllentsorgung verzichten: Die niederländischen Gemeinden Eindhoven, Geldrop-Mierlo und Valkenswaard rüsten zum Beispiel ihre 1.200 Müllcontainer mit einem Sensor der Firma BWaste aus. Er meldet über einen GPRS-Sender (ohne SIM-Lock) an die Zentrale, wenn der Container fast voll ist. Mithilfe eines Software-Pakets für Tourenplanung werden diese Informationen in einen Fahrplan umgesetzt, der die Abholwagen nur an den Containern, die wirklich geleert werden müssen, vorbeiführt. Übervolle Container mit allen damit verbundenen Problemen gehören der Vergangenheit an und der Entsorger Cure Afvalbeheer kann die Anzahl seiner Lkw-Fahrten reduzieren. Menno Beukema, Geschäftsführer von BWaste: „Kein anderer Entsorgungsträger in den Niederlanden, und vielleicht sogar in Europa, setzt Sensoren zur Füllstandsmessung in allen Müllcontainern ein. Cure ist auf diesem Gebiet ein echter Pionier.“
Die Stadt als Rohstoffquelle
Doch das effiziente Einsammeln von Müll ist nur der erste Schritt in einer smarten Entsorgungskette. Dabei spielt das Recycling eine entscheidende Rolle: Denn mit der immer weiter wachsenden und immer wohlhabenderen Weltbevölkerung werden Rohstoffe knapp. Sie müssen daher effektiver genutzt werden. Urban Mining ist hier das Schlagwort – die Stadt wird zum Bergwerk, zur Rohstoffquelle. Denn in den Dingen und Geräten, die wir täglich verwenden, in den Häusern, in denen wir leben und in den Fahrzeugen, die wir benutzen, sind Rohstoffe in großen Mengen enthalten. In der Stadt Wien zum Beispiel kommen auf einen Einwohner circa 4.500 Kilogramm Eisen, 340 Kilogramm Aluminium, 200 Kilogramm Kupfer, 40 Kilogramm Zink und 210 Kilogramm Blei. In einer 100-Quadratmeter-Wohnung stecken heute rund 7.500 Kilogramm Metalle, das entspricht dem Gewicht von circa sieben Personenwagen. Wenn dieses von den Menschen selbst angelegte Rohstofflager angezapft werden kann, schont das nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern reduziert auch die Abhängigkeit von Importen. Das erfordert allerdings neue Technologien, mit denen auch Rohstoffe zurückgewonnen werden können, die nur in Kleinmengen verbaut sind und heute noch nicht rentabel recycelt werden können. Und für zukünftige „Urban Miner“ sollten Produkte schon recyclinggerecht de-
signt sein, so dass sich die Rohstoffe leicht wieder zurückgewinnen lassen. Das gilt dann auch für neue Gebäude, wie sie in GIFT City entstehen: Sie sind als Green Buildings konzipiert und von Anfang an so konstruiert, dass am Ende ihres Lebens möglichst wenig Material auf der Mülldeponie endet, sondern sich die Baustoffe leicht wiederverwenden lassen.
(Bildnachweis: Istockphoto: huseyintuncer, vm)