Die Digitalisierung der Wertschöpfungskette durch Industrie 4.0 wird Unternehmen viele Vorteile bringen: Sie können einzelne Kundenwünsche schneller und besser realisieren, Prozesse effizienter gestalten und sogar neue Geschäftsmodelle generieren.
Industrie 4.0 ist ein echter Produktivitätstreiber – die Wertschöpfungsketten verändern sich durch die Digitalisierung und Vernetzung von Produktion und intelligenten Produkten“, so Prof. Dieter Kempf, Präsident des deutschen Herstellerverbandes BITKOM. „Industrie 4.0-Anwendungen erstrecken sich von der Produktentwicklung über die Produktion und Logistik bis zu unterstützenden Bereichen wie Qualitätssicherung, Kundenservice oder Personalplanung“, erklärt Kempf.
Auf dem Weg zur dezentralen Selbstorganisation
Flexibilität und Individualisierung der Fertigung sind die entscheidenden Vorteile der Industrie 4.0. Basis dafür sind Cyber-Physical Systems, die eine dezentrale Selbstorganisation der Produktion ermöglichen: Das Werkstück kommuniziert selbstständig mit den Produktionsanlagen und greift aktiv in den Produktionsprozess ein. „Verteilte Steuerungskonzepte, die auch eine cloudbasierte Steuerung von Produktionsanlagen ermöglichen, sind essentiell, um die mit dem Stichwort Industrie 4.0 verknüpften Vorteile ausschöpfen zu können: Von der besseren Auslastung freier Kapazitäten in den Anlagen bis zur rentablen Produktion auch kleiner Losgrößen. Die eher träge und unflexible klassische Automatisierungspyramide kann das nicht leisten“, so Michael Stiller, Wissenschaftlicher Mitarbeiter Industrial Communication am Fraunhofer-Institut für eingebettete Systeme und Kommunikationstechnik (ESK). Das Ergebnis ist eine wesentlich flexiblere Fertigung, die quasi in Echtzeit auf Veränderungen im Marktumfeld oder der Wertschöpfungskette reagiert. Die Vielzahl der in Anlagen und Betriebsmitteln integrierten und vernetzten Sensoren liefern zudem umfassende Betriebs-, Zustands- und Umfelddaten der Anlagen. Komplexe Produktionsprozesse können so nahezu in Echtzeit überwacht werden. Diese Transparenz in der Fertigung ermöglicht eine ständige Optimierung der Prozesse und eine deutlich effizientere Produktion.
Quantitative und qualitative Vorteile
Laut einer Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers (PwC) rechnen Unternehmen in Deutschland im Schnitt mit einer Effizienzsteigerung von 3,3 Prozent pro Jahr durch Industrie 4.0. Gleichzeitig sollen digitale Lösungen dabei helfen, die Kosten um jährlich 2,6 Prozent zu drücken. „Die Digitalisierung der kompletten Wertschöpfungskette bringt einen hohen quantitativen Nutzen. Gleichzeitig ergeben sich aber auch wichtige qualitative Vorteile: Unternehmen, die ihre Prozesse weitgehend digitalisieren, können ihre Produktion und Logistik besser steuern. Sie sind in der Lage, flexibel auf Veränderungen zu reagieren und besser auf die Wünsche ihrer Kunden einzugehen“, so die Einschätzung von Dr. Reinhard Geissbauer, Partner bei PwC im Bereich Management Consulting. „Außerdem werden wertvolle Ressourcen schonender eingesetzt“.
Das Thema Industrie 4.0 geht aber über die Digitalisierung von Prozessen und Wertschöpfungsketten hinaus. Unternehmen bauen gleichzeitig ihr Angebot an vernetzten Produkten und Dienstleistungen stark aus. „Beispiele für digitalisierte Produkte und Services finden sich in allen Branchen: Die Automobilindustrie etwa hat herkömmliche Bremsanlagen durch elektronische Steuereinheiten zu modernen Antiblockiersystemen weiterentwickelt. Der Maschinen- und Anlagenbau setzt auf Sensoren, die für eine optimale und präventive Wartung von Maschinen und Anlagen sorgen“, erläutert Reinhard Geissbauer.
Zusätzliches Geschäft durch neue Service-Modelle
Zudem können die eigenen Produkte mit Industrie 4.0-Technologien ausgestattet werden und so beispielsweise neue Service-Modelle entstehen. Denn als intelligente, zur Kommunikation fähige Objekte sammeln sie vielfältige Daten zu ihrem Einsatz und zum Nutzungsverhalten des Kunden, die als Anknüpfungspunkte für neue Geschäftsmodelle und Dienstleistungen dienen können. Gerade Start-ups sowie kleine und mittlere Unternehmen können sich mit Business-to-Business-Dienstleistungen am Markt etablieren.
„Industrie 4.0 hat das Zeug dazu, unsere industrielle Wertschöpfung so zu revolutionieren wie das Internet die Wissensarbeit“, sagte Prof. Wilhelm Bauer vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO). Bislang könne man allerdings nur einen kleinen Teil der erwarteten Potenziale einordnen. Viel werde davon abhängen, ob und wie es gelingen werde, neue Geschäftsmodelle in den traditionellen Industriebranchen einzuführen.
(Bildnachweis: Photocase: Marqus)