Neueste Assistenzsysteme nutzen Informationen der unterschiedlichsten Sensoren und vernetzen sich mit dem Internet. Diese Entwicklungen ermöglichen in Zukunft das vollständig autonome Fahrzeug.
Im Internet schlug das Video hohe Wellen: Ein Kinderwagen folgt einem jungen Vater völlig autonom auf Schritt und Tritt – beim Joggen durch den Park, ins Café, selbst bei einem „Crash-Test“ im Wohnzimmer bremste der Kinderwagen selbstständig vor der Zimmerwand ab. Zu schön, um wahr zu sein. Leider handelt es sich tatsächlich nur um einen Werbeclip von Volkswagen – der Konzern wollte damit zeigen, welche Technologien und Innovationen schon heute verfügbar sind. Doch noch sind die entsprechenden Systeme zu groß – und für Kinderwagen wohl auch zu teuer. Anders sieht es allerdings bei Pkw und Lkw aus – hier werden immer mehr Assistenzsysteme verbaut.
Bessere Erfassung durch Sensorfusion
Im Trend liegt die sogenannte Sensorfusion: Dabei werden die Informationen verschiedener Sensorsysteme verknüpft, zum Beispiel von einem Radarsensor in der Fahrzeugfront und einer Kamera in der Frontscheibe. Durch diese Sensorfusion kann das System komplexe Verkehrsszenarien zuverlässiger interpretieren. Vorausfahrende Fahrzeuge und stehende Hindernisse können schneller und mit höherer Sicherheit identifiziert werden. Dadurch gewinnt das System Zeit, um bei Bedarf früher eine Notbremsung auszulösen. Das Fahrzeug kann so im Notfall mehr Geschwindigkeit abbauen und wertvolle Meter früher zum Stehen kommen. Noch früher reagieren Assistenzsysteme, die Informationen von außerhalb des Fahrzeugs erhalten. Durch die zunehmende Vernetzung von Pkw und Lkw mit dem Internet können sie zum Beispiel auf digitale Karten, Informationen von Ampelkreuzungen oder auch auf die Sensordaten anderer Fahrzeuge zugreifen. Erhält das Fahrzeug zum Beispiel über das Internet Informationen über ein Stauende hinter einer Kurve, könnte ein automatisierter Pkw sanft die Geschwindigkeit reduzieren, anstatt erst dann eine Vollbremsung einzuleiten, wenn die Sensoren das Hindernis erkennen.
Sehen, was die Technik macht
In Zukunft wird das Fahrzeug dem Fahrer zudem zeigen, was die Assistenzsysteme sehen und was sie leisten. Augmented Reality ist das Stichwort: Continental hat ein Head-up-Display entwickelt, bei dem die Realität der Verkehrssituation, wie der Fahrer sie sieht, durch grafische Hinweise ergänzt (= augmentiert) werden kann. Informationen der Assistenzsysteme werden direkt in das Blickfeld eingebettet. Das dazu erforderliche Steuergerät muss zahlreiche Sensordatenströme auswerten, um die grafischen Elemente exakt im Sichtfeld des Fahrers zu positionieren. So werden Kamera- und Radardaten der Bordsensoren, Fahrdynamikwerte aus dem Fahrzeug sowie digitale Kartendaten und GPS-Ortung genutzt, um ein Modell der realen Außenansicht aus der Perspektive des Fahrers zu erzeugen. „Damit beginnt eine neue Interaktion zwischen Fahrzeug und Fahrer. Das Fahrzeug zeigt dem Fahrer, was die Assistenzsysteme sehen und was sie leisten. Das schafft Vertrauen und wird deshalb auch helfen, Akzeptanz für heutige und zukünftige Fahrfunktionen zu schaffen“, sagt Eelco Spoelder, Leiter des Continental Geschäftsbereichs Instrumentation & Driver HMI.
Auf dem Weg zum autonomen Fahren
Dank der Assistenzsysteme werden die Fahrzeuge zukünftig in immer mehr Fahrsituationen, wie zum Beispiel Staufahrten oder Baustellen, ein automatisiertes Fahren anbieten. In Abhängigkeit zur Fahrsituation wird der Fahrer die Fahraufgabe an das Fahrzeug abgeben können. Insbesondere beim Lkw im Fernverkehr wird die Kombination von Assistenzsystemen in den nächsten Jahren den Weg zum autonomen Fahren ebnen. Die Serienentwicklung dazu ist bei Daimler Trucks in vollem Gang. „Unser Antrieb ist die Vision vom unfallfreien Fahren. Deshalb entwickeln wir kontinuierlich neue Sicherheitssysteme und bringen diese in den Markt. Wie schnell wir sie einsetzen können, hängt dabei auch maßgeblich davon ab, wie zügig der notwendige rechtliche Rahmen geschaffen wird. Hier ist die Politik gefordert“, sagt Dr. Wolfgang Bernhard, im Daimler Vorstand verantwortlich für Trucks und Busse.
Die neuen Assistenz- und Sicherheitssysteme werden, jedes für sich, die Zahl der Unfälle verringern. Der Quantensprung in Richtung unfallfreies Fahren wird durch ihre intelligente Kombination stattfinden. „Wenn wir alle Sensorsysteme eines Lkws für Längs- und Quer-Dynamik kombinieren, steigern wir die Sicherheit unserer Fahrzeuge noch einmal erheblich – denn dann wird autonomes Fahren möglich“, so Dr. Bernhard. Im Juli 2014 hatte der mit dem intelligenten Highway Pilot System ausgerüstete Mercedes-Benz Future Truck 2025 auf einem Autobahnteilabschnitt bei Magdeburg seine autonome Jungfernfahrt absolviert. Im Mai 2015 erhielt Daimler im US-Bundesstaat Nevada die weltweit erste Straßenzulassung für den ebenfalls mit dem Highway Pilot ausgestatteten Freightliner Inspiration Truck.
Und Vätern, die heute noch ihren Kinderwagen schieben müssen, bleibt eine Hoffnung: Assistenzsysteme werden immer preiswerter und kleiner. Toyota bietet sie jetzt selbst für seinen Kleinwagen Aygo an. Da ist der Weg zum autonomen Kinderwagen doch gar nicht mehr so weit.
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