Vom Recycling zum Second-Hand-Chip

Mit der zunehmenden Digitalisierung steigt auch die Zahl der HalbleiterProdukte, die im Abfall landen. Ihr Recycling oder ihre Wiederverwendung ist nicht nur ein Beitrag zu mehr Nachhaltigkeit, sondern ist auch als Rohstoffquelle ­zunehmend interessant.

Laut der letzten Ausgabe des „Global E-­Waste ­Monitor“ der Vereinten Nationen wurde 2019 weltweit eine Rekordmenge von 53,6 Millionen Tonnen Elektroschrott erzeugt. Diese Menge soll weiter steigen – bis 2030 auf 74 Millionen Tonnen, was im Vergleich zu 2014 fast einer Verdoppelung des Elektro­schrotts in nur 16 Jahren entspricht. Davon wurden zudem im Jahr 2019 nur 17,4 Prozent gesammelt und recycelt. Das bedeutet, dass Gold, Silber, Kupfer, Platin und andere ­hochwertige, ­wiederverwertbare Materialien, die konservativ auf 57 ­Milliarden US-Dollar geschätzt werden, größtenteils deponiert oder verbrannt wurden, anstatt zur Wiederverwendung gesammelt zu werden.

Umweltauswirkungen reduzieren 

Natürlich ist der Anteil der Halbleiterprodukte am E-Waste relativ gering, dennoch setzen sich immer mehr Unternehmen zum Ziel, auch hier nachhaltiger zu werden und ihren CO2-Fußabdruck auf null zu bringen. „Aber oft fehlen ihnen die Daten, um den Anteil von ICs von Anfang bis Ende zu entschlüsseln. Genau hier kommt IMEC ins Spiel. Wir verfügen über diese Daten und sind bereit, die Industrie mit allen notwendigen Erkenntnissen, Werkzeugen, Instrumenten und Zahlen zu unterstützen“, sagt Luc Van den Hove, CEO von IMEC. Das Forschungs- und Innovationszentrum für Nano­elektronik und digitale Technologien hat dazu eigens das Forschungsprogramm Sustainable Semiconductor Technologies and Systems (SSTS) initiiert. Das SSTS-Programm ist die erste Initiative, die Interessenvertreter aus der gesamten IC-Wertschöpfungskette zusammenbringt, um die Umweltauswirkungen der Chip-Produktion zu erfassen. Dabei rückt auch das Recycling immer mehr in den Fokus – nur so lässt sich die Menge an E-Waste reduzieren und lassen sich wichtige Rohstoffe wiedergewinnen. Dabei sprechen nicht nur Umweltschutzgründe für ein Recycling: Elemente wie ­Tantal, Neodym, Wolfram, Kobalt und Gallium sind im wahrsten Sinne Wertstoffe, denn sie sind rar, von hoher wirtschaftlicher Bedeutung und zudem mit einem erheblichen Versorgungsrisiko verbunden. Deren Wiedergewinnung könnte also auch ein Beitrag zu resilienteren Lieferketten sein.

Neue Recyclingverfahren

Allerdings ist das Recycling von Chips heute aufgrund ihres komplexen Aufbaus noch zu teuer und aufwändig. Neue ­Recyclingkonzepte sind notwendig, um die Kosten zu senken, doch noch finden sich entsprechende Verfahren hauptsächlich im Bereich der Forschung. Im EU-Projekt ADIR zum Beispiel wurde ein Verfahren entwickelt, mit dem sich dank automatisierbarer flexibler Prozesse Elektronikgeräte am Ende ihrer Nutzungsdauer effizient in ihre Einzelteile ­zerlegen lassen. In einer Demontageanlage arbeiten dazu Laser­technik, Robotik, Visionsysteme und Informationstechnologie in intelligenter Weise zusammen. Laser identifizieren dabei unter anderem Inhaltsstoffe, entlöten berührungslos Bauelemente oder schneiden sie aus den Platinen. So lassen sich strategisch bedeutsame Wertstoffe mit hoher wirtschaftlicher Bedeutung im industriellen Maßstab effizient recyceln: Tantal zum Beispiel konnte zu 96 bis 98 Prozent zurückgewonnen werden. Ein anderes Beispiel ist ein umweltfreundliches hydrothermales Abscheideverfahren, das ein Team rund um Lu Zhan von der East China Normal ­University entwickelt hat: Mit ihm konnten 99,9 ­Prozent des ­Galliums und 95,5 Prozent des Arsens aus ICs zurückgewonnen werden. 

Vollständig recycelbarer Transistor

Neue Materialien könnten zudem das Recycling zumindest in Teilbereichen deutlich vereinfachen: So ­haben Forscher der US-amerikanischen Duke University den ersten vollständig recycelbaren Transistor entwickelt. Der druckbare Baustein wird aus einer leitenden ­Graphen-Tinte, einer halbleitenden Tinte auf Basis von Kohlenstoff-Nanoröhren sowie einer isolierenden Nano-Zellulose-­Tinte her­gestellt. Das Recycling des auf Kohlenstoff basierenden Bauelements ist einfach und erfordert nur ein Ultraschallbad und eine Zentrifuge. Das Graphen und die Kohlenstoff-Nanoröhrchen können so beide zu über 95 Prozent wiedergewonnen werden.

Halbleiterkomponenten wiederverwenden 

Noch effizienter und umweltfreundlicher als Recycling wäre es, Halbleiter-Bausteine wie Speicher und ICs als Ganzes wiederzuverwenden – als „Second-Hand-Chips“. Das erfordert zum einen entsprechende Demontageverfahren und ein demontagefreundliches Design von Halbleiterprodukten. Zum anderen sind aber auch neue Normen und die Zusammenarbeit der Industrie ein wichtiger Schlüssel zur Schaffung transparenter Sekundärmärkte für wiederverwendete Mikrochips, wie Dr. Patrick Schröder von der britischen Denkfabrik Chatham House betont: „Halbleiterunternehmen sollten einen Mechanismus für „zertifizierte gebrauchte Chips“ in Erwägung ziehen, bei dem sie aktiv in den Validierungsprozess einbezogen werden, um Fälschungen und Probleme der nationalen Sicherheit zu verhindern.“ Langfristig ist eine umfassende Nachhaltigkeitsvision für die Halbleiterindustrie erforderlich, die sowohl Umweltbelange als auch die Widerstandsfähigkeit der Lieferketten berücksichtigt. Schlüsselelemente sind die Konzeption von Halbleitern und Elektronik für die Wiederverwendung, der Betrieb von abfallfreien Produktionsanlagen, der Aufbau einer gut vernetzten Infrastruktur für Elektronikreparaturzentren auf globaler Ebene und die Vermeidung unnötiger Abfälle durch die Wiederaufbereitung gebrauchter Teile und Komponenten. „Ich möchte die gesamte Halbleiter-Wertschöpfungskette dazu aufrufen, nicht abseits zu stehen, sondern gemeinsam mit uns zu handeln, um den ökologischen Fußabdruck der gesamten Halbleiterindustrie zu verkleinern“, so IMEC-CEO Luc Van den hove. 

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