Nicht nur bei der Übertragung über lange Strecken, sondern auch im Niederspannungsnetz bietet Gleichstrom einige Vorteile. Die Industrie forscht bereits intensiv an Lösungen für derartige DC-Grids.
Vor 129 Jahren siegte im „Stromkrieg“ der Wechselstrom (AC) gegen den Gleichstrom (DC). Doch heute feiert der Gleichstrom ein Comeback, und das nicht nur in der Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragung, sondern auch im Niederspannungsbereich. In Fabriken, in Rechenzentren und sogar in Haushalten könnte elektrische Energie in Zukunft mit Gleichstrom übertragen werden. Der Vorteil: Viele elektrische Verbraucher von der LED-Leuchte über Industrieantriebe bis zum Elektroauto konsumieren eigentlich Gleichstrom. Dieser muss bisher aus dem Wechselstrom aus der Steckdose umgewandelt werden. Und diese Umwandlung führt zu Energieverlusten von bis zu 30 Prozent.
DC-Grids: Baustein zur Klimaneutralität
Vor allem die Industrie sieht in einem Gleichstromnetz einen wichtigen Beitrag zu einer CO2-neutralen Produktion. Volker Bibelhausen, Vorstandssprecher und Technologievorstand der Unternehmensgruppe Weidmüller, erklärt: „Durch DC-Grids können beispielsweise Photovoltaikanlagen oder dezentrale Energiespeicher einfach eingebunden werden. Und durch die eingehende Reduzierung von Umwandlungsverlusten von AC zu DC und ein intelligentes Lastmanagement können Energieverbräuche signifikant reduziert werden. Spitzenlasten werden vermieden, was sich positiv auf Gerätebauformen und Installationen auswirkt. In Summe sprechen wir von möglichen Einsparungen im zweistelligen Prozentbereich, was uns deutlich hilft, klimaneutral zu werden.“ Ein weiterer Vorteil ergibt sich dadurch, dass gerade die Gleichrichterstufen zu einer starken Oberschwingungsbelastung des AC-Netzes führen. Was aufwendige und kostenintensive Filtermaßnahmen notwendig macht, um die normativ geforderte Spannungsqualität sicherzustellen. Auf diesen Aufwand kann man bei DC-Grids verzichten.
Elektrische Anlagen koppeln
„Das große Potenzial der Gleichstromversorgung in der Produktion liegt in der Kopplung aller elektrischen Anlagen der Fabrik zu einem intelligenten DC-Grid. Dieses ermöglicht es, die Verfügbarkeit und Qualität der elektrischen Versorgung vor Ort zu verbessern und so die Zuverlässigkeit der Produktion zu steigern“, so Timm Kuhlmann, Wissenschaftler am Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA in Stuttgart.
Das Forschungsprojekt „DC-Industrie 2“ hat ein derartiges Netz bereits aufgebaut. Dabei werden alle installierten Verbraucher wie frequenzgeregelte Elektromotoren, die Beleuchtung und Prozesstechnologien direkt mit Gleichstrom versorgt und sind über ein gemeinsames Gleichspannungsnetz verbunden – das Netz arbeitet dabei in einem Spannungsband von plus/minus zehn Prozent um einen Nennwert von 650 Volt. Dies erlaubt den direkten Energieaustausch zwischen allen Antrieben, die beispielsweise in Robotern oder Werkzeugspindeln regelmäßig beschleunigen und bremsen. Komponenten, die normalerweise überflüssige Energie verheizen, wie etwa Bremswiderstände, entfallen. Möglich werden solche neuen technologischen Infrastrukturen erst durch die Weiterentwicklung von Leistungshalbleitern. Die hohen Kosten für Komponenten zum Schalten von Gleichströmen sind durch moderne leistungselektronische Bauelemente wesentlich gesunken.
Neue Komponenten sind erforderlich
Allerdings bedeutet die Umstellung auf Gleichstromnetze einige technische Herausforderungen für die Hersteller der verschiedenen Industriekomponenten.
Zum Beispiel bei den Kabeln: Das Unternehmen Lapp, einer der führenden Anbieter im Bereich der Kabel- und Verbindungstechnologie, fand heraus, dass das elektrische Feld einer Gleichspannung anders auf die Kunststoffisolierung einer Leitung wirkt als ein Wechselspannungsfeld. Für bestimmte Anwendungen unter Gleichstrom könnten daher andere Materialien erforderlich sein als in Wechselstromanwendungen. Lapp hat bereits eine Leitung eigens für DC-Anwendungen auf den Markt gebracht.
Auch bei Gleichstrom sicher geschützt
Zudem werden neuartige Schutzschalter benötigt, um elektrische Anlagen und Geräte in nur wenigen Mikro- oder Millisekunden abzuschalten. Die größte Herausforderung bei der Entwicklung eines Gleichstromschutzschalters ist es, den Stromkreis in jedem erdenklichen Fehlerfall, etwa bei einem Kurzschluss, sicher und schnell abzuschalten. Zuerst wird der Fehler erkannt. Anschließend öffnen sich im Inneren des Schutzschalters Schaltkontakte und es entsteht ein Lichtbogen. Um nun den Stromfluss zu unterbrechen und einen Brand zu verhindern, muss dieser Lichtbogen umgehend gelöscht werden.
Während aber bei Wechselstrom der Lichtbogen spätestens in dem Moment von selbst erlischt, in dem der Strom seine Richtung ändert (dies geschieht hundertmal pro Sekunde), muss bei Gleichstrom – der je nach Bedarf stetig in eine bestimmte Richtung fließt – durch zusätzliche Maßnahmen dafür gesorgt werden, dass der Lichtbogen sozusagen künstlich gelöscht wird.
Bis zu zehn Prozent Energie einsparen mit DC-Grids
Doch diese technischen Aspekte sind lösbar: Das Projekt „DC-Industrie“ hat die Machbarkeit eines DC-Grids in der Fabrik nachgewiesen. „Wir können zwischen fünf und zehn Prozent Energie einsparen, indem wir einfach Gleichstrom verwenden“, zieht der Wissenschaftler Timm Kuhlmann ein Fazit.