Mit Urban Farming soll die Nahrungsmittelproduktion direkt in die Stadt gebracht werden. Lange Transportwege und Kühlketten entfallen – das schont nicht nur die Umwelt, sondern garantiert auch frische Produkte in den Megastädten von morgen.
Um die wachsende Bevölkerung in den Städten jederzeit mit frischem Gemüse, Fleisch und Fisch zu versorgen, ist eine smartere Nahrungsmittelproduktion notwendig. Lebensmittel legen schon heute weite Wege von der Produktion zum Verbraucher zurück. Kühlketten und der Transport mit dem Flugzeug verursachen beträchtliche Mengen CO2. Eine neue Idee soll die Nahrungsmittelproduktion daher in die Stadt, direkt zum Verbraucher, bringen – Urban Farming, die Landwirtschaft in der Stadt.
Ein Hochhaus für Gemüse
So entwickeln die Ingenieure des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) die „Vertical Farm 2.0“ – ein Gewächs-Hochhaus, in dem Gemüse ganz ohne Ackerboden produziert werden kann. „In unserer Produktionsfabrik würden wir die Pflanzen unter genau kontrollierten und optimalen Bedingungen züchten“, erläutert Conrad Zeidler vom DLR-Institut für Raumfahrtsysteme. Pro Stockwerk könnten innerhalb eines Jahres fast 630.000 Kilogramm Salat oder über 95.000 Kilogramm Tomaten gezüchtet werden. Dabei würde die Grundfläche des Gewächshauses lediglich 74 mal 35 Meter in Anspruch nehmen. Versorgt würden die Pflanzen mit exakt dosierter Nährstofflösung und LED-Licht. „Wichtig ist uns, dass unser Gewächs-Hochhaus modular aufgebaut ist, das heißt, man kann es an die Bedürfnisse des jeweiligen Standortes anpassen“, sagt Projektleiter Conrad Zeidler. Wenn in Tokio der Bedarf nach Salat am größten ist und in Moskau die Tomaten sehr begehrt sind, soll sich das Konzept der „Vertical Farm“ mühelos an die Wünsche der Verbraucher anpassen lassen. Gleich bleibt aber immer das Prinzip, dass Parameter wie Luftfeuchtigkeit, Licht oder auch Nährstoffe optimal eingestellt werden. „Dadurch wachsen die Pflanzen schneller und sind somit produktiver. Selbst den Geschmack können wir durch die Einstellung der Parameter beeinflussen.“ Die Nährstoffe erhält die Pflanze in flüssiger Form, so dass keine Erde notwendig ist. „Wir haben also einen sauberen und von der äußeren Welt abgeschlossenen Kreislauf, daher sind auch keine Pestizide und chemischen Insektizide erforderlich.“
Koriander aus dem U-Bahn-Tunnel
Schon aus dem Entwicklungsstadium heraus sind Steven Dring und Richard Ballard: Sie bauen seit fast zwei Jahren mitten in London eine Nutzpflanzenfarm auf. Das Besondere: Ihre „Farm Growing Underground“ liegt 33 Meter tief unter der Erde in einem stillgelegten Luftschutzbunker eines U-Bahn-Tunnels. Insgesamt beherbergt die Farm zwölf verschiedene Gemüse- und Kräutersorten, darunter Knoblauch, Koriander und Rucola und verbraucht etwa 70 Prozent weniger Wasser als ein vergleichbarer konventioneller Anbau.
Die Niederländer wiederum sind Meister im Umgang mit dem Meer – nur konsequent, dass sie ihre Urban-Farming-Projekte auf Flöße setzen. So entsteht in Rotterdam eine „Floating Farm“ – ein 1.200 Quadratmeter großes Floß, auf dem 40 Kühe Platz finden. Aus den 1.000 Litern Milch, die sie jeden Tag geben, werden direkt vor Ort frische Molkereiprodukte wie Joghurt erzeugt. Die Ausscheidungen der Kühe werden genutzt, um Rotklee, Gras und Luzerne zu züchten – das Futter für die Kühe. Die Farm soll ab Herbst 2016 in die Realisierungsphase gehen.
Frischer Fisch aus der Großstadt
Auch in Berlin boomt das Urban Farming: Eine Kombination von Gemüseanbau und Fischzucht hat ECF Farmsystems realisiert. In der deutschen Hauptstadt steht die größte innerstädtische Aquaponic-Farm der Welt. Bei der Produktion von hochwertigem Speisefisch wird das Wasser mit wertvollen Nährstoffen angereichert. Dieses Wasser wird in das Gewächshaus geleitet und versorgt dort die Pflanzen mit natürlichem Dünger. Pro Jahr sollen rund 25 Tonnen Barsch sowie 30 Tonnen Gemüse und Kräuter klimaschonend produziert werden. Die Produkte können durch die innerstädtische Lage der Anlage dem Verbraucher frisch angeboten werden, weite Transportwege und Kühlketten entfallen.
Farming as a Service
Der israelische Gründer Erez Galonska hat aus dem Urban Farming ein eigenes Geschäftsmodell entwickelt: „Farming as a Service“. Sein Start-up Infarm entwickelt vertikale Farmen für diverse Kunden. In Regalen werden auf mehreren Ebenen übereinander verschiedenste Gemüse- und Salatsorten unter LED-Licht und in Hydrokultur angebaut. Die vertikalen Farmen werden per App überwacht und gesteuert, Mikrosensoren und Datenverarbeitung sorgen dafür, dass die Pflanzen jederzeit unter den optimalen Bedingungen aufwachsen. Mit Infarm will Galonska hochwertige und frische Lebensmittel zu erschwinglichen Preisen kultivieren, Abfall vermeiden und die Umwelt schonen. „Im Jahr 2050 wird die Weltbevölkerung von sieben auf neun Millionen Menschen gewachsen sein, davon werden 86 Prozent in Städten leben. Um diese Menschen zu ernähren, werden wir deutlich mehr Anbaufläche brauchen als wir tatsächlich haben“, erklärt Erez Galonska. Schon jetzt wird das Infarm-Modul von der Metro Group genutzt. Bis Anfang 2017 soll die Technologie weltweit vertrieben werden.
(Bildnachweis: Istockphoto: Floortje; Lindybug)