Digitalisierung bringt mehr Züge auf die Schiene

Um den Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden, hält auch bei der Bahn die Digitalisierung Einzug. Intelligent vernetzte Daten von Infrastruktur und Fahrzeugen ermöglichen bessere Auslastung der Züge, Optimierung der Fahrpläne, Organisation des Fahrgastflusses, mehr Pünktlichkeit und weniger Störungen.

Im Gegensatz zum Straßenverkehr gibt es fahrerlose, vollautomatische Fahrzeuge bei der Bahn schon erstaunlich lange – die ersten Züge wurden 1981 in Kobe, Japan, in Betrieb genommen. Heute finden sich Züge ohne Lokführer bereits in über 40 Städten auf der ganzen Welt, darunter Kopenhagen, Paris, Singapur, Dubai und London.

Allerdings sind das vor allem Züge wie U-Bahnen, die in geschlossenen Umgebungen fahren – jetzt wird daran gearbeitet, hoch- oder vollautomatisierte Züge auch in die offeneren Umgebungen des Güter-, Regional- und Fernverkehrs zu bringen. „Städtische fahrerlose Systeme in geschlossenen Umgebungen bergen andere Risiken als Netzwerke in offenen Umgebungen“, erklärt Oliver Lauxmann, Global Practice Group Leader im Chief Underwriting Office – Liability bei Allianz Global Corporate & Specialty. „Die Risiken im Bahnbetrieb sind sehr unterschiedlich, und es gibt keine Einheitslösung für alle. Die Software, die in einem Serienfahrzeug funktioniert, ist nicht für alle autonomen Züge geeignet. Die Technologie muss sehr individuell angepasst werden.“

S-Bahn fährt von allein

Dennoch – Ende 2021, im Rahmen des ITS-Weltkongresses in Hamburg, präsentierte die Deutsche Bahn (DB) den weltweit ersten Zug, der im Eisenbahnverkehr von allein fährt. Noch sind allerdings Lokführer zur Überwachung der Fahrt mit Fahrgästen an Bord. Das Rangieren – zum Beispiel die Zugwende – erfolgt ohne Personal. Dr. Richard Lutz, Vorstandsvorsitzender der DB: „Mit dem automatischen Bahnbetrieb können wir unseren Fahrgästen ein deutlich größeres, zuverlässigeres und damit besseres Angebot machen – ohne einen Kilometer Gleis neu bauen zu müssen.“

Autonome Züge kommen

Auch woanders befinden sich ähnliche Projekte in der Planung: Die französische Staatsbahn SNCF hat die Einführung von zwei autonomen Zügen angekündigt, die bis 2023 in Betrieb genommen werden sollen. Ein Konsortium in Finnland unter der Leitung des Bahnbetreibers Proxion entwickelt ebenfalls bis 2023 einen autonomen Güterzug für kurze Strecken in der Stahl- und Forstwirtschaft.

„Dies sind nur einige der Projekte, die den Bahnverkehr in eine völlig neue Richtung lenken, dank ‚intelligenter‘ Technologien wie künstlicher Intelligenz, Robotik und dem Internet der Dinge“, so Oliver Lauxmann. „In Kombination mit den Möglichkeiten von Datenanalyse, Satelliten, LiDAR, Radar und 5G bieten sie Überwachungs- und Sicherheitssysteme mit weitreichenden Vorteilen.“

100,1 Milliarden US-Dollar Volumen des weltweiten Marktes für Digitalisierung bei der Bahn in 2027

Quelle: MarketsandMarkets

 

10,11 Milliarden US-Dollar Volumen des Marktes für Autonome Züge in 2026

Quelle: Research and Markets

Zugverkehr ohne Signale

Zentraler Baustein für die Automatisierung im europäischen Bahnverkehr ist das Europäische Zugsicherungs- und Zugsteuerungssystem (ETCS). Es soll die alten Steuerungs- und Signalsysteme der Länder ersetzen und einen gemeinsamen europäischen Standard schaffen. Mit ETCS ist ein Zugverkehr ohne Signale möglich. Die Information, ob ein Abschnitt befahren werden darf oder nicht, wird auf einem Bildschirm direkt im Zug angezeigt. Anhand von Angaben aus dem Streckenatlas, einer genauen Positionsbestimmung über Sensoren und vorgegebenen Regeln überwacht das System den Zug und kann auch bei hohen Geschwindigkeiten rechtzeitig die richtigen Entscheidungen für eine sichere Zugfahrt treffen.

Automatischer Zugbetrieb

Zweiter Baustein für die Digitalisierung des Eisenbahnsektors ist der automatische Zugbetrieb (ATO): ATO ist im Prinzip der Autopilot für den Zugverkehr. Er besteht aus der fahrzeugseitigen Ausrüstung der Zughersteller (ATO On Board Unit – OBU) und dem Trackside-Modul-System (ATO-TS) am Gleis. Mit ATO beschleunigt und bremst der Zug automatisch aufgrund eines optimalen Fahrprofils. Dabei ist die Reaktionszeit zwischen Übermittlung und Umsetzung der Fahrbefehle deutlich geringer als bei der manuellen Steuerung.

Radar für den Zug

Ein automatischer Zugbetrieb erfordert auch umfangreiche Sensorik, mit der der Zug Hindernisse auf oder am Gleis erkennen kann. Wie so ein System aussehen kann, testete Alstom im Frühjahr 2022 in Oosterhout bei Breda in den Niederlanden. „Die Lokomotive ist in der Lage, sowohl große Hindernisse wie ein Auto als auch kleinere wie ein Kaninchen oder einen Menschen zu erkennen und zwar sowohl bei Tag als auch bei Nacht“, so Abel Poelaert, Customer Director Alstom Benelux. Das System basiert auf einem hochauflösenden digitalen Radar und einer multispektralen Elektrooptik, die durch leistungsstarke Algorithmen für klassisches und maschinelles Lernen unterstützt werden.

20 Prozent mehr Effizienz

Die Einführung von ETCS und darauf aufbauenden Technologien würde den europäischen Bahnverkehr laut einer Studie von Strategy&, der Strategieberatung von PwC, vor allem langfristig schneller, effizienter und sicherer machen. So wären unter bestimmten Rahmenbedingungen durch die Kombination von ETCS und ATO Kapazitäts- und Effizienzsteigerungen von 10 bis 20 Prozent möglich, da Züge in dichteren Abständen fahren und Zeitpläne optimiert werden könnten. Gleichzeitig stiege das Sicherheitslevel durch die Modernisierung und Digitalisierung der Zugsteuerung deutlich an.

Die verschiedenen Stufen der (Bahn-)Autonomie

GoA1: Die automatische Zugsicherung (ATP) prüft, ob die Geschwindigkeit mit den zulässigen Grenzwerten vereinbar ist, und kann eine Notbremsung auslösen. Der Triebfahrzeugführer startet und stoppt den Zug, schließt die Türen und übernimmt im Falle einer Störung den Betrieb.

GoA2: Der Zug verfügt zusätzlich über eine Einrichtung zum automatischen Zugbetrieb (ATO), einer Sicherheitseinrichtung für den Betrieb automatisierter Züge. Anfahren und Anhalten erfolgt automatisch. Der Triebfahrzeugführer schließt die Türen und fährt bei Störungen.

GoA3: Das System arbeitet fahrerlos, Anfahren und Anhalten erfolgt automatisch. Ein Zugbegleiter schließt die Türen und bedient den Zug im Falle einer Störung.

GoA4: Der Zug fährt vollständig autonom (UTO = unattended train operation). Das Anfahren und Anhalten erfolgt automatisch wie auch das Schließen der Türen. Auch der Betrieb im Falle einer Störung erfolgt automatisch.

Revolutionäre Systemänderungen unwahrscheinlich

Im Zusammenhang mit spurgebundenen Verkehrssystemen werden immer wieder völlig neue Technologien diskutiert – von der Magnetschwebebahn über Gütertransportsysteme unter der Erde bis hin zu Systemen, die einen dynamischen Fahrgastwechsel während der Fahrt ermöglichen. Viele dieser Lösungen befinden sich tatsächlich in der Entwicklung – doch werden sie voraussichtlich bestenfalls eine Ergänzung der herkömmlichen Züge mit Elektroantrieb und Rädern sein. In der im Auftrag des Schweizer Bundesamtes für Verkehr (BAV) erstellten Studie „Technologische Weiterentwicklung des Bahnsystems 2050“ heißt es dazu: „Die Frage der Antriebsart wird von der Expertenseite aktuell jedoch nicht als Frage der Zukunft angesehen, da aktuell nichts Besseres als der elektrische Antrieb bekannt ist.“

 

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