Interview mit Prof. Ralph Kennel über fortschreitende Digitalisierung und elektrische Antriebstechnik. Das Zeitalter der Bewegung durch menschliche Arbeitskraft geht zu Ende – sie wird einfach zu teuer. Entsprechend wichtig ist die elektrische Antriebstechnik und Leistungselektronik. Das ist die Prämisse, unter der Professor Ralph Kennel den Lehrstuhl für Elektrische Antriebssysteme und Leistungselektronik der Technischen Universität München leitet.
Was haben Sie denn gedacht, als die Firma Dyson Werbung mit ihrem digitalen Motor gemacht hat?
Ralph Kennel: Da antworte ich mit einem kleinen Witz drauf. Wir sagen bei uns immer, ein digitaler Motor ist: Geht, geht nicht. Der Begriff eines digitalen Motors wird bei uns also nicht so ernst genommen.
Was verstehen Sie denn unter Digitaler Antriebstechnik?
R. K.: Das ist ein Antrieb, der mit digitaler Regelung ausgestattet ist. Die elektrische Maschine war noch nie digital und wird es auch in Zukunft nicht sein. Der Stromrichter aber war schon immer digital. Das Einzige, was sich von analog zu digital geändert hat, ist die Regelung.
Welche Vorteile bietet die digitale Antriebstechnik?
R. K.: Damit stehen alle Möglichkeiten zur Verfügung, die die Digitaltechnik in puncto Austausch von Information bietet. Man erhält viel mehr Informationen aus dem Antrieb, kann sie nach außen übermitteln und daraus Schlüsse ziehen. Damit ist der Umgang mit solchen Antrieben viel komfortabler und informativer.
Welche Rolle spielt dabei die Energieeffizienz?
R. K.: An und für sich ist Energieeffizienz keine Frage der digitalen oder analogen Regelungstechnik. Allerdings hängt der energieoptimale Arbeitspunkt sehr stark von äußeren Einflüssen ab. Daher werden wirklich viele Informationen benötigt, um ihn in der Anwendung zu finden. Die bekomme ich von einem digitalen Antrieb eher als von einem analogen. Ich habe also mehr Chancen, tatsächlich energieeffizient zu arbeiten.
Wo sehen Sie die wichtigsten Märkte und Anwendungsfelder für diese „informativen“ Antriebe?
R. K.: Im Moment besonders im Automobil-Bereich. Im Industrie-Bereich macht man das schon lange, da waren die Antriebe immer schon über numerische Steuerungen vernetzt, die wiederum die Intelligenz hatten. Seit Anfang der 90er Jahre, als die Antriebe digital wurden, ist mehr und mehr von der Intelligenz in den Antrieb gewandert. Im Automotive-Sektor muss man diesen Schritt noch gehen.
Spiegelt sich das auch bei Ihnen im Institut wider, oder was sind die aktuellen Forschungsgebiete bei Ihnen?
R. K.: Zum einen ist die geberlose Regelung bei uns ein wichtiges Thema, wo wir aus den Strom- und Spannungswerten aus dem Motor die Position des Rotors bestimmen. Dann beschäftigen wir uns auch mit der sogenannten prädiktiven Regelung – eine moderne Form der Regelung, mit der man mehr Informationen verarbeiten kann. Thema sind bei uns auch die erneuerbaren Energien: Wie bekommt man die Energie optimal aus der Quelle ins Netz. Das letzte Forschungsfeld ist dann noch die kontaktlose Energieübertragung. Am Rande berühren viele dieser Dinge auch die Elektromobilität, Schwerpunkt für uns sind aber die Industrieanwendungen.
Was muss ich mir denn unter einer prädiktiven Regelung vorstellen?
R. K.: Normalerweise wartet ein Regler, bis eine Abweichung da ist und reagiert erst dann darauf. Der Prädiktiv-Regler rechnet vorher, was passiert. Er arbeitet quasi wie ein Schachspieler – er rechnet aus, was passiert, wenn er den jeweiligen Zug macht.
Können Sie uns ein Beispiel geben, wo das genutzt wird?
R. K.: Wir haben zum Beispiel in einem Projekt einen Impedanz-Zwischenkreis-Umrichter prädiktiv geregelt. Diese Umrichter haben den Vorteil, dass man sie kaum kaputtkriegt, Kurzschlüsse und geöffnete Kreise machen ihnen nichts aus. Aber sie sind schwieriger zu regeln, weil sich die einzelnen Größen viel stärker gegenseitig beeinflussen. Die herkömmliche Regelungstechnik ist da einfach überfordert. Mit Prädiktiv-Regelung haben wir das aber lösen können – da sehen wir viel Potenzial für die Zukunft.
Kontaktlose Energieübertragung hört sich auch spannend an. Woran arbeiten Sie dort?
R. K.: Wir überlegen zurzeit, ob wir unter dem Dach 5G nicht auch für bestimmte Antriebsanwendungen die Energie kontaktlos übertragen können. Das wird natürlich schwierig, wenn der Antrieb ständig zehn Kilowatt benötigt. Aber es gibt ja viele kleine Antriebe, die nur zeitweise arbeiten. Da bräuchte man eigentlich kein Kabel, um sie zu versorgen. Das Problem dabei ist, die Energie wirklich nur dahin zu bringen, wo man sie haben will, und sie nicht ungerichtet im Raum zu verteilen.
Wie sieht es denn bei den Elektromotoren selbst aus – sind die heute bereits „ausentwickelt“?
R. K.: Nein – auch da findet Forschung statt. Aber das hat nichts mit Digitaltechnik zu tun. Da geht es um Physik.
Was sind für Sie zurzeit die spannendsten Entwicklungen in der Antriebstechnik?
R. K.: Womit wenige gerechnet haben, ist der Einsatz neuer Leistungshalbleiter, Stichwort Siliciumcarbid. Das wird einige Auswirkungen haben. Denn damit sollen bessere Leistungshalbleiter möglich sein. Besser bedeutet meist schneller. Das heißt, wir werden mit den Schaltfrequenzen deutlich nach oben wandern. Dabei heißt schneller aber auch, dass Nebeneffekte schneller auftreten. Da wird sicherlich noch einiges investiert werden müssen, um das in den Griff zu kriegen. Aber da wird der Zug hingehen.
Es bleibt also spannend in der Antriebstechnik – um Nachwuchs dürften Sie sich nicht sorgen …
R. K.: Wir sind ja nicht nur Antriebstechniker, wir sind auch Leistungselektroniker – und da zitiere ich mal Barack Obama: Er sagte sinngemäß mal, nichts läuft ohne Leistungselektronik. Der Leistungselektroniker wird gebraucht in aller Zukunft. Ich gehe daher davon aus, dass unsere Absolventen nicht arbeitslos sein werden. Wenn jemand nur halbwegs Spaß hat an dieser Technik und am Umgang mit Energie, sollte „Er“ oder „Sie“ das studieren.