Die Teilnehmer unseres Expertengesprächs sehen vor allem einen großen Bedarf, die Menschen über Nutzen und Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz aufzuklären. Auch wenn Themen wie Ethik und Voreingenommenheit durchaus eine Herausforderung darstellen – die Menschen ersetzende Superintelligenz befürchtet keiner.
Das Bild, das sich Menschen über Künstliche Intelligenz machen, ist ziemlich verzerrt. „Zum einen sind die Erwartungen an die Fähigkeiten von KI riesig, zum anderen ist da aber auch die Angst, dass superschlaue Künstliche Intelligenzen die Weltherrschaft übernehmen“, so Andrea Martin, Chief Technology Officer von IBM für die DACH-Region. Gerade Hollywood hat mit Blockbustern wie der „Terminator“ Filmreihe das Bild einer von Maschinen regierten Zukunft geprägt. Aber auch Statements von renommierten Wissenschaftlern wie Stephen Hawking haben die Menschen verunsichert: „Wenn ich höre, dass KI uns irgendwann töten wird, schlage ich die Hände über dem Kopf zusammen“, ereifert sich René Büst, Director of Technology Research bei Arago. „Derartige Phrasen sorgen einfach dafür, dass die Menschen Angst haben. Und das macht es uns als Anbietern extrem schwer, klarzumachen, was KI kann und was nicht.“ Die Roundtable-Teilnehmer sehen hier auch die Medien in der Pflicht, nicht nur über Schreckensszenarien im Zusammenhang mit KI zu berichten, sondern vor allem auch Chancen und Möglichkeiten darzustellen. „Mein Eindruck ist aber leider, dass die Presse lieber spektakuläre Weltuntergangs-Thesen aufgreift, weil sie einfach mehr Aufmerksamkeit beim Leser finden“, so Reinhard Karger, Unternehmenssprecher des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz.
Auf der anderen Seite tragen aber auch die Anbieter von Systemen, die KI nutzen, Mitschuld an dem verzerrten Bild in der Öffentlichkeit: „Mit hohem Marketing-Aufwand werden Systeme, die eigentlich relativ trivial sind, auf den Markt gebracht“, meint Thomas Staudinger, Vice President Marketing bei EBV. So entstehe eine Erwartungshaltung, die viele Systeme dann letztendlich nicht erfüllen können.
„Wir sollten auf die Chancen und Möglichkeiten schauen, die sich mit KI bieten.“
Andrea Martin, Chief Technology Officer IBM DACH
Mehr Anwendungen als gedacht
Ein typisches Beispiel dafür sind Chatbots: Viele Nutzer erwarten, man könne mit den digitalen Assistenten einen Dialog führen wie mit einem Menschen. „Das werden wir wahrscheinlich auch auf lange Sicht nicht können“, so René Büst. „Man sollte vielmehr mit kleineren Aufgaben wie der Automatisierung von Prozessen anfangen.“ Das sieht auch Andrea Martin so: „Die personalisierte Interaktion ist nur ein Teilbereich von Künstlicher Intelligenz. Daneben sollt man sehen, wie uns KI helfen kann, aus riesigen Datenmengen neue Erkenntnisse zu gewinnen und uns dabei unterstützen kann, bessere Entscheidungen zu treffen.“
Die Experten können eine ganze Reihe von Anwendungen aufzählen, wo KI schon heute eingesetzt wird und echten Nutzen für die Anwender bringt: Sei es bei der vorausschauenden Wartung, in der Arbeitsorganisation, in der medizinischen Forschung oder in vielen anderen Bereichen, in denen KI-Systeme Menschen unterstützen. Tatsächlich werden heute schon viel mehr KI-Lösungen eingesetzt, als den meisten Menschen bewusst ist. Das macht eine Zahl von Oliver Gürtler, Senior Director Business Group Cloud and Enterprise, Microsoft Deutschland, deutlich: „Stand heute arbeiten bereits 760.000 Entwickler bei unseren Partnern an Lösungen, die KI nutzen. Und das ist nur auf unserer Plattform – es gibt natürlich noch weitere Anbieter.“ Das passt zu den Zahlen, die Andrea Martin nennt: „2018 werden rund 70 Prozent aller Entwickler in irgendeiner Art und Weise Funktionen der Künstlichen Intelligenz in ihre Produkte einbauen.“
„Die Entscheidungen einer KI müssen transparent und reproduzierbar sein.“
Oliver Gürtler, Senior Director Business Group Cloud + Enterprise, Microsoft Deutschland
Verschiedene Technologien wirken zusammen
Möglich werden diese rasanten Fortschritte durch das Zusammenwirken verschiedener Technologien, wie René Büst erklärt: „Mit Cloud Computing, Big Data, Analytics Services oder GPUs wurden in den letzten zehn Jahren die Grundlagen für die heutigen KI-Lösungen geschaffen.“ Vor allem in der Möglichkeit, mit Grafikkarten Daten massiv parallel zu verarbeiten und damit neuronale Netze zu berechnen, sieht DFKI-Sprecher Karger einen wesentlichen Durchbruch für die KI: „Wir haben damit heute letztendlich Supercomputer, die wir zum Beispiel ins Auto integrieren, um Sensordaten in Echtzeit zu verarbeiten.“ Neben der Möglichkeit, die Rechenleistung über die Prozessoren in die Applikation zu bringen, sieht Thomas Staudinger einen weiteren Baustein: „Die Sensoren sind dank der Entwicklungen im Bereich der Halbleiter-Technik so günstig geworden, dass sie sich massenhaft in Anwendungen integrieren lassen.“ Damit können die benötigten Datenmengen für KI-Lösungen generiert werden. „Daten sind das Rohöl für Artificial Intelligence“, betont Oliver Gürtler. „Um sie zu verarbeiten, werden auf der einen Seite Datenbanken benötigt, auf die in Millisekunden zugegriffen werden kann. Auf der anderen Seite wird viel mehr direkt am Front-End, auf den Geräten verarbeitet werden. Dazu brauche ich zudem Connectivity, um Daten zwischen Geräten und Rechenzentren auszutauschen.“ Die Entwicklung wird weitergehen, wie die Round-table-Teilnehmer betonen. Sie nennen unter anderem das Mesh-Computing, bei dem Endgeräte direkt ohne Internetverbindung miteinander kommunizieren, oder Quantencomputer, mit denen bereits erste Tests durchgeführt werden.
„Es gibt eine Pluralität von Assistenten, aber keine Singularität von KI.“
Reinhard Karger, Unternehmenssprecher Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz
Sichere KI-Systeme
„Die Technologie-Entwicklung beschleunigt exponentiell. Eine große Herausforderung ist dabei der Themenkomplex der Transparenz“, so Oliver Gürtler. Wenn man nicht wisse, warum eine KI eine bestimmte Entscheidung trifft, dann könnten die Ergebnisse leicht manipuliert werden, ohne dass der Nutzer das merkt. Dazu gehört auch, dass die Ergebnisse reproduzierbar sind. Und natürlich der Schutz der Daten, um Manipulationen zu verhindern. „Wenn keine Transparenz gegeben ist, also nicht erkennbar ist, wie die KI überhaupt arbeitet, dann muss der Nutzer die Ergebnisse akzeptieren, ohne sie hinterfragen zu können.“ Die Sicherheit bei KI-Systemen hat viele Säulen, wie Andrea Martin erklärt: „Sicherheit muss in der Hardware, in der Software und in der Connectivity gewährleistet sein. Und dann gibt es noch eine weitere Säule – den Menschen.
Wenn wir den außer Acht lassen, haben wir den wichtigsten Faktor außen vor gelassen.“ Auch Reinhard Karger sieht im Menschen, beziehungsweise in dem nur wenig ausgeprägten Sicherheits-Bewusstsein der Anwender, einen großen Risikofaktor. „Bei der ganzen Diskussion um Datenschutz und Security geht es um immer bessere Schlösser für die Tür – dabei stehen die Fenster sperrangelweit auf.“
„Ich sehe KI als eine Companion-Technologie, die uns hilft, das Leben einfacher zu gestalten.“
René Büst, Director of Technology Research, Arago
Herausforderung Vorurteile
Während Datenschutz und Datensicherheit schon aus vielen anderen Bereichen bekannte Themen sind, kommt bei KI-Lösungen ein neuer Aspekt hinzu: Voreingenommenheit, unter den Experten mit dem englischen Begriff Bias bezeichnet. „Wird eine Gesichtserkennung von einem Team entwickelt, das zum Beispiel aus einer Gruppe weißer Männer besteht, kann es passieren, dass das System falsche Ergebnisse bei Menschen liefert, die keine weiße Hautfarbe haben“, gibt Oliver Gürtler ein Beispiel. „Das kann man vermeiden, wenn man auf Diversität in den Entwicklungsteams achtet. Das lernt die Industrie jetzt gerade.“ Er betont, dass dazu Guidelines für KI-Entwickler nötig sind. „Microsoft, IBM, Google, Facebook, Amazon und ein paar andere Unternehmen haben dafür die Non-Profit-Organisation Partnership on AI gegründet“, so Andrea Martin. „Hier sollen gemeinsam Prinzipien für vorbildliche Vorgehensweisen bei der Entwicklung von KI-Lösungen erarbeitet werden. Damit das, was wir tun, auch möglichst zum Nutzen der Gesellschaft und Wirtschaft eingesetzt wird – und nicht dagegen.“ Wie kompliziert das sein kann, verdeutlicht Reinhard Karger: „Für das Training neuronaler Netze benötigt man massenhaft Daten. Doch wie kann man prüfen, ob diese Daten auch tatsächlich den Ansprüchen der heutigen Gesellschaft entsprechen? Sollen Tausende Menschen geschult werden, die Daten einzeln zu prüfen? Was sind die Kriterien? Und müsste man diese Prüfung regelmäßig wiederholen? Es ist sehr schwer, die Voreingenommenheit aus einem System herauszukriegen.“
„Gerade in Richtung Produktivität und Effizienz kann Künstliche Intelligenz sehr positive Entwicklungen anstoßen.“
Thomas Staudinger, Vice President Marketing, EBV
Regeln für KI-Entwicklung
Ähnlich herausfordernd ist die Frage nach der Ethik von Entscheidungen, die KI-Systeme treffen. Was macht zum Beispiel ein autonomes Auto, wenn es in einem Notfall zwischen dem Leben des Fahrers, eines Kindes auf der Straße oder eines alten Mannes auf dem Gehweg wählen muss? „Das ist in meinen Augen viel wichtiger als die Diskussion, ob Maschinen uns irgendwann unterjochen“, meint René Büst. Doch Reinhard Karger ist ein wenig genervt von diesem Thema: „Die Wahrscheinlichkeit, dass so ein Szenario auftritt, ist mehr als extrem gering. Wenn Menschen in derartige Katastrophensituationen kommen, entscheiden sie reflexhaft und nicht reflektiert nach ethischen Grundsätzen, die es für diese Dilemma-Situation noch nicht einmal gibt.“ Doch hier stößt er auf Widerspruch: „Es gibt in dem Kontext viel Unsicherheit, weil es viele offen Fragen gibt“, meint zum Beispiel Oliver Gürtler. „Die müssen beantwortet werden, bevor Entscheidungen einer KI akzeptiert werden – nicht nur beim autonomen Fahren, auch bei Anwendungen wie in der Medizin.“ Auch Andrea Martin hält die Ethik im Zusammenhang mit KI für relevant: „Die Frage kommt ja aus dem Teil der Gesellschaft, der sich nicht so tiefgehend mit Künstlicher Intelligenz beschäftigt. Allerdings ist es noch ein sehr langer Weg, sind noch viele technische Grundlagen zu meistern, bis ein Auto derartige Entscheidungen treffen muss. Von daher glaube ich, dass wir zur Beantwortung der Frage noch Zeit haben.“ Dennoch sieht sie wie René Büst die Notwendigkeit, Ethikkommissionen zu bilden, die sich um die moralischen Fragen des KI-Einsatzes kümmern. „Nicht, um den Menschen Angst, sondern um KI gesellschaftsfähig zu machen“, betont Büst.
Ansätze zur Integration in Unternehmen
Die Konsumenten sind das eine, meint Thomas Staudinger: „Aber wie kann ich als mittelständisches Unternehmen KI in meine Geschäftsprozesse einbinden? KI wird ja nicht zum Selbstzweck gemacht.“ Letztendlich ist das eine Frage der Strategie, die von der Unternehmensführung vorgegeben werden muss, meint unter anderem Oliver Gürtler und betont: „KI bietet die große Chance, sich vom Wettbewerb differenzieren zu können.“ Doch was kann man mit KI als Unternehmen wirklich machen? Wie kann damit ein neues Geschäftsmodell aufgebaut werden? Welche Prozesse lassen sich damit verbessern? Das sind alles Fragen, die sich laut Staudinger viele Entscheider in Unternehmen heute noch stellen: „Hier besteht noch großer Erklärungsbedarf. Best-Practice-Beispiele könnten helfen, die Vorteile von KI-Lösungen zu verstehen und das Thema greifbarer zu machen.“
Andrea Martin rät dazu, die Perspektive zu wechseln: „Das Themenfeld KI ist so breit, dass Unternehmen -davon erschlagen werden. Statt das als ein Riesentier zu sehen, das erlegt werden muss, sollte man sich klarmachen, dass es sich bei KI um einen Baukasten handelt. Da kann man sich einzelne Elemente herausgreifen und zweckgebundene Lösungen kreieren.“ René Büst empfiehlt, zunächst einmal in der IT eines Unternehmens anzufangen, Prozesse mit Hilfe von KI zu automatisieren. „Mit den Informationen, die man hierbei sammelt, kann man KI-Lösungen dann auf andere Geschäftsprozesse ausdehnen und im gleichen Maße ein Bewusstsein im Unternehmen schaffen.“ Thomas Staudinger, der die Endkunden seiner Kunden im Auge hat, sieht vor allem die Entscheiderebene in der Verantwortung: „Es geht darum, dem Endkunden einen besseren Service mit KI zu bieten. Das erreiche ich nicht über die IT, sondern das ist eine Geschäftsentscheidung.“ Einfach mal machen – ist dagegen die Empfehlung von Oliver Gürtler: „Unserer Erfahrung nach ist es extrem produktiv, wenn sich sowohl junge als auch erfahrene Mitarbeiter zusammensetzen und kreativ werden. Dann einfach die Lösung mal implementieren. Das sind erstmal alles Kleinstprojekte, die nicht fünf Jahre Softwareentwicklung brauchen, sondern das kann ergänzend zur bestehenden IT ganz schlank implementiert werden. Wenn die Firmen anfangen, den Nutzen der KI zu sehen, dann werden sie auch lernen, KI für sich zu begreifen.“ Daraus würden dann die wirklich transformativen Projekte entstehen, meint Gürtler. Auch Reinhard Karger hält viel von dem Potenzial, das in den Mitarbeitern steckt: „Gerade für kleinere Betriebe ist es sinnvoll, die eigenen Mitarbeiter zu fragen – über das betriebsinterne Vorschlagswesen zum Beispiel. Denn zuallererst ist bei der Einführung von KI Fantasie gefragt, nicht Technologie-Know-how.“
Chancen realisieren
Einig sind sich alle Teilnehmer, dass man auf die Chancen schauen sollte, die Künstliche Intelligenz bietet – in Produktion, Forschung, Verkehr, aber auch zuhause bei Themen wie Steuer, Versicherung und vielem mehr. „Zwischen der fiktiven Superintelligenz eines Terminators und einem einfachen digitalen Assistenten gibt es noch ganz viel“, meint Andrea Martin. KI ist für die Roundtable-Teilnehmer vor allem eine Möglichkeit, menschliche Fähigkeiten zu ergänzen – nicht zu ersetzen. So ist denn auch Reinhard Kargers Schlusswort optimistisch: „Ja, Künstliche Intelligenz wird unser Leben verändern – und das ist großartig.“