Vielseitig einsetzbare Roboter benötigen Greifer, die sowohl kräftig zupacken als auch empfindliche Objekte zärtlich aufnehmen können. Forscher entwickeln dazu Greifer, die der menschlichen Hand nicht nur in der Form, sondern auch in den Empfindungen immer näher kommen.
Die Hand ist ein wahres Wunderwerk der Natur: 27 Knochen, 28 Gelenke, 33 Muskeln und Tausende von Sinneszellen ermöglichen es ihr, schwere Lasten genauso sicher zu heben wie rohe Eier. Seit Jahren ist es Ziel von Forschern und Ingenieuren, die Flexibilität und Vielseitigkeit der menschlichen Hand auf die Greifwerkzeuge von Robotern zu übertragen. Mit dem Trend zur flexiblen Produktion der Industrie 4.0 und dem Einzug in das alltägliche Leben mit seinen vielfältigen Greifaufgaben wird die Notwendigkeit für ein derartig vielseitiges Greifinstrument noch drückender.
Und tatsächlich werden immer mehr Lösungen entwickelt, die zumindest grundsätzliche Fähigkeiten der menschlichen Hand kopieren können. Wesentliche Faktoren dabei sind eine wohl dosierte Greifkraft und der Tastsinn. Die Firma Schunk hat zum Beispiel bereits einen Greifer auf den Markt gebracht, der mithilfe speziell entwickelter Greifstrategien und Kraftmessbacken in den Fingern sein Verhalten in Echtzeit darauf abstimmt, ob ein Werkstück oder womöglich eine menschliche Hand gegriffen wird. Doch der Schunk-Greifer besteht nur aus zwei Fingern – komplexe Bewegungen wie das Drehen oder Rollen eines gegriffenen Gegenstandes sind damit nicht möglich.
Die Roboterhand lernt, richtig zu greifen
„Die Handmanipulation ist eines der schwierigsten Probleme, das die Robotik zu lösen hat“, sagt Vikash Kumar, Doktorand an der University of Washington. „Viele Roboter haben schon ziemlich leistungsfähige Arme, aber die Hand wird über so einfache Dinge wie einen Saugnapf oder vielleicht eine Zange oder einen Greifer realisiert.“ Kumar ist Mitglied eines Teams von Computerwissenschaftlern und Ingenieuren, die diese Aufgabe lösen wollen. Sie haben eine Roboterhand entwickelt, die mit fünf Fingern, 40 Sehnen, 24 Gelenken und mehr als 130 Sensoren menschenähnliche Greifbewegungen durchführen kann. Diese leistungsfähige Hand haben die Wissenschaftler mit Algorithmen zum maschinellen Lernen kombiniert. „Es wird ziemlich chaotisch und Kollisionen geschehen, wenn man ein Objekt mit verschiedenen Fingern anfasst. Damit können herkömmliche Steuerungsalgorithmen nur schwer umgehen“, so Sergey Levine, Assistenz-Professor an der University of Washington. Die Wissenschaftler entwickelten daher einen Algorithmus, der das hochkomplexe Verhalten der fünf Finger modelliert und Bewegungen plant, um verschiedene Resultate zu erzielen. Während jeder Manipulationsaufgabe sammelt das System über Sensoren und Motion-Capture-Kameras Daten zur ausgeführten Bewegung, die dann schließlich über Algorithmen zum maschinellen Lernen kontinuierlich verbessert werden.
„Die Handmanipulation ist eines der schwierigsten Probleme, das die Robotik zu lösen hat“
Vikash Kumar, Doktorand, University of Washington
Auch unbekannte Objekte sicher handhaben
So lassen sich auch komplexe Greifaufgaben realisieren. Doch was passiert, wenn die Hand empfindliche Gegenstände wie zum Beispiel ein rohes Ei greifen soll? Diese Aufgabe stand im Fokus eines vom Computer Science and Artificial Intelligence Laboratory (CSAIL) des MIT konstruierten Greifers: Er besteht aus drei weichen Silikonfingern. Sie umgreifen empfindliche Objekte komplett und fassen sie so sehr sicher und schonend. Harte oder außergewöhnlich geformte Gegenstände werden dagegen nur mit den Fingerspitzen gegriffen, was ein präziseres Fassen mit höherem punktuellen Druck ermöglicht. Um zu entscheiden, wie ein Gegenstand gegriffen wird, misst der Greifer dessen Form über Sensoren. Anhand von gerade einmal drei Datenpunkten identifiziert die Recheneinheit des Roboters den Gegenstand. Dazu vergleicht das System die Daten mit vergangenen Greifaufgaben. „Wenn wir Roboter in menschenzentrierten Umgebungen einsetzen wollen, müssen sie adaptiver sein und mit Objekten umgehen können, deren Form und Position nicht exakt bekannt sind“, erklärt Daniela Rus, Leiterin des Distributed Robotics Lab am CSAIL. „Unser Traum ist es, einen Roboter zu entwickeln, der wie ein Mensch in einer einzigen nahtlosen Bewegung sich einem Objekt nähert, die Größe und Form abschätzt und herausfindet, wie er es greifen kann.“
Haarige Sensoren
Dazu sind auch neue Sensoren erforderlich, die nicht nur die Form eines Objektes erfassen, sondern auch erkennen, ob es weich ist oder ob es ins Rutschen kommt, weil der Griff nicht fest genug ist. So entwickelt die Firma Tacterion taktile Sensoren in Form einer dünnen künstlichen Haut auf Polymer-Basis. Ähnlich den Nervenzellen der menschlichen Haut kann sie über tastempfindliche Sensoren auch den kleinsten Druck „spüren“ und die entsprechenden Daten verarbeiten. Die chinesischen Forscher Rongguo Wang und Lifeng Hao vom Harbin Institute of Technology arbeiten daran, eine elektronische Haut mit feinsten Härchen-Sensoren auszustatten. Sie bestehen aus Mikrodrähten auf Kobaltbasis, die von einer dünnen Glasschicht überzogen und in einen robusten, gummiartigen Hautsensor eingebettet sind. Die haarige Roboterhaut kann das Landen einer Fliege, einen leichten Windstoß oder ein fünf Kilogramm schweres Gewicht erspüren. Zudem kann der neuartige Sensor auch fühlen, wenn ein gegriffenes Objekt ins Rutschen gerät. „Der Sensor zeigt einige außergewöhnliche Fähigkeiten sowie das Aufspüren von Luftzügen, die Charakterisierung von Materialeigenschaften und eine exzellente Robustheit gegenüber Schäden“, so die Forscher.
(Bildnachweis: Istockphoto: CSA Images)