Zwei Welten vereint

Cyber-Physical Systems verbinden die physikalische Welt der Maschinen mit der virtuellen Welt des Internets. Sie sind der Kern der Industrie 4.0.

Das Konzept von Cyber-Physical Systems entstand aus der Idee, dass sich von der Design-Phase bis zur Produktion ein Werkstück vollständig simulieren lässt und es sich selbstständig den optimalen Produktionsprozess sucht. So lässt sich die Fertigung vollständig automatisieren; menschliches Zutun ist nur in der Designphase und bei der Definition der Produktionsbedingungen und Parameter erforderlich. Dr. Heinz Derenbach, Vorsitzender Geschäftsführer der Bosch Software Innovations GmbH: „In einer extremen Vision weiß das Werkstück bereits, für welchen Kunden es vorgesehen ist und trägt alle Informationen darüber, wo und wann es bearbeitet wird, mit sich. Ist das Material erst einmal in der Maschine, zeichnet es selbst jede Abweichung vom Standardprozess auf, stellt fest, wann es fertig ist und weiß, wie es zum Kunden gelangt.“

Selbstständig durch eingebettete ­Elektronik

Ermöglicht wird dies durch mikroelektronische Systeme, die über eine eigene Rechenfähigkeit, über Kommunikations- und Vernetzungsbausteine sowie über Sensorik und Aktorik verfügen. So können sie alle Funktionen zur Datenaufnahme, -verarbeitung und -ausgabe eigenständig erfüllen. Als „Embedded System“ sind sie in größere Systeme oder Gegenstände, wie eben ein Werkstück, integriert. Anders als in mechatronischen Systemen – also Systemen, bei denen mechanische, elektronische und informationstechnische Elemente zusammenwirken und die schon seit einigen Jahren in der Automatisierung eingesetzt werden – sind die bei Cyber-Physical Systems verwendeten Sensoren und Aktoren „smarte“ Lösungen. Sie verfügen neben ihrer eigentlichen Hauptfunktion über intelligente Funktionen zum Beispiel zur Signalverarbeitung oder Regelung sowie über Internet-fähige Kommunikationsschnittstellen wie Ethernet zur Vernetzung.

Informationen aus einer Vielzahl von Quellen nutzen

Genau diese Fähigkeit, das Internet und damit verschiedene Software-Services zu nutzen, und das auf Basis von offenen und globalen Standards, ist die wichtigste Neuheit bei Cyber-Physical Systems. Denn so wird es möglich, Informationen aus den unterschiedlichsten Anwendungen, Organisationen und Bereichen zu verwenden. Cyber-Physical Systems sind sowohl untereinander als auch mit über- und untergeordneten Systemen vernetzt. So ist es möglich, dass die Produktion nicht länger durch eine zentrale Instanz gesteuert wird, sondern durch eine Vielzahl von kleinen, dezentralen Einheiten. Diese Einheiten verfügen dabei durch die Integration leistungsfähiger Prozessoren über eine immer größere Intelligenz. Das Ziel ist, dass sie selbstständig Entscheidungen in den Arbeitsabläufen treffen können.

Entscheidungen autonom treffen

Behcet Acikmese, Assistenz-Professor an der Universität von Texas in Austin, arbeitet mit einem multidisziplinären Team aus Psychologen und Computerwissenschaftlern daran, die Fähigkeiten von Cyber-Physical Systems zur Entscheidungsfindung zu erweitern. Dazu studiert er das menschliche Verhalten: „Auch wenn wir noch weit entfernt sind von einer autonomen Entscheidungsfindung, die viele Dinge beherrscht, die Menschen mühelos können, machen wir Fortschritte“, so Acikmese. „Menschen haben effiziente Mittel, ihren Arbeitsbereich wahrzunehmen und Entscheidungen zu treffen, die auch bei potenziell dynamischen Unsicherheiten stabil sind. Wir würden gerne die menschliche Entscheidungsfindung in einem entsprechenden Arbeits-Kontext analysieren und die so gewonnenen Einsichten nutzen, um robuste Autonomie-Protokolle zu entwickeln.“ Sein übergeordnetes Forschungsziel ist es, eine Software für Embedded Systems zu entwickeln, die Entscheidungen in Echtzeit treffen kann.

Methoden und Tools für die Entwicklung

Unabhängig davon ist die Entwicklung von komplexen Cyber-Physical Systems für Anwendungen, die hohe Anforderungen an die Zuverlässigkeit stellen, mit den heutigen Entwicklungsverfahren sehr aufwändig und teuer. „Es ist allgemein anerkannt, dass die Entwicklungskosten für zukünftige Systeme unerschwinglich werden, wenn wir nicht signifikante Verbesserungen in den Methoden und Werkzeugen für das System-Design erzielen“, so Professor Michael Butler von der Universität Southampton. Butler ist der wissenschaftliche Koordinator des von der Europäischen Union finanzierten Forschungsprojektes „Advance“. Ziel war die Entwicklung von Methoden und Tools speziell für die Modellierung von Cyber-Physical Systems. Ende 2014 wurde als Ergebnis eine Systematik präsentiert, die einen Entwicklungsprozess und eine frei verfügbare Sammlung von Werkzeugen beinhaltet. Sie ermöglicht es, Fehler bei Spezifikationen oder im Design schon im frühestmöglichen Entwicklungsstadium zu entdecken. Das Advance-Toolset wurde als ein Upgrade zur bereits existierenden Open-Source-Plattform gestartet. Die neuen Features helfen Ingenieuren, die Kosten in der Systementwicklung zu reduzieren, indem sie genaue Modelle zur Simulation des Systemverhaltens liefern.

(Bildnachweis: Shutterstock)

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