Die Mikroelektronik ist heute Grundlage für nahezu jede zukunftsträchtige Technologie. Halbleiter sind unverzichtbar für die meisten Bereiche der Wirtschaft und in fast allen Lebensbereichen. Doch ihre Produktion erfordert immer mehr Know-how und komplexe Wertschöpfungsketten, so dass die Welt der Halbleiter sehr empfindlich auf Störungen reagiert.
Früher war Öl das Lebenselixier der Volkswirtschaften weltweit. Mit der zunehmend voranschreitenden Digitalisierung übernehmen Halbleiter immer mehr diese Rolle. „Mikroelektronik ist eine Schlüsseltechnologie im digitalen Zeitalter und Halbleiter sind die Basis für fast alle künftigen digitalen Technologien“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg. Mikrochips bilden die miniaturisierten Kernstücke komplexer elektronischer Schaltungen. Von der industriellen Produktion über die Medizintechnik bis hin zum vollautomatisierten Fahren – ohne Halbleiter geht kaum noch etwas. Auch den privaten Bereich haben Prozessoren und Speicherchips längst erobert: Sie sitzen in Smartphones, Küchengeräten, Fernsehern oder auch in Kreditkarten und Reisepässen. Von Chips älterer Bauart, die immer noch in vielen Anwendungen verwendet werden, bis hin zu High-End-Chips, die für Spitzenprodukte wie PCs und Smartphones benötigt werden, sind Halbleiter essenzielle Bauteile in allen elektronischen Geräten. Allein im Jahr 2021 wurden laut den auf den Halbleitermarkt spezialisierten Analysten von IC Insights 1,1353 Billionen Halbleitereinheiten ausgeliefert.
Rasante Entwicklung
Dabei hat die Halbleitertechnologie in den letzten fünf Jahrzehnten eine rasante Entwicklung durchlaufen. Die Apollo-Mondlandefähre verwendete bei der Mondmission 1969 einige zehntausend Transistoren mit einem Gesamtgewicht von etwa 30 Kilogramm. Zum Vergleich: IBM stellte in 2021 neue Halbleiterchips mit den kleinsten jemals hergestellten Transistoren vor. Mit dem neuen 2-Nanometer-Transistor kann das Unternehmen 50 Milliarden Transistoren auf einem Chip von der Größe eines Fingernagels unterbringen – 2 Nanometer sind schmaler als ein Strang der menschlichen DNA.
Nachfrage deutlich größer als Angebot
Wie abhängig die globale Wirtschaft inzwischen von diesen kleinen Elektronikelementen ist, zeigen die Lieferengpässe, die seit Ende 2020 die Wirtschaft ausbremsen. Neue Smartphones kamen verspätet auf den Markt, Industrieroboter, Notebooks und selbst Spielekonsolen waren nur schwer erhältlich. Besonders die Automobilindustrie war betroffen: In Autofabriken standen Produktionsbänder still, Mitarbeiter wurden in Kurzarbeit geschickt. Laut dem Beratungsunternehmen AlixPartners hat die globale Automobilindustrie im Jahr 2021 rund 210 Milliarden US-Dollar an Umsatz wegen des Halbleitermangels verloren. Bitkom-Präsident Achim Berg: „Der anhaltende Chip-Mangel ist ein Risiko für die gesamte Wirtschaft, gerade auch in Europa und Deutschland.“
Dabei wird die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage von Halbleitern immer größer, wie Michael Alexander, Partner bei Roland Berger, erläutert: „Eine baldige Besserung ist nicht in Sicht. Denn der Engpass hat strukturelle Gründe, die in der aktuellen Ausgestaltung der Lieferketten liegen. Die Knappheit der Chips wird bis in das Jahr 2023 – und wahrscheinlich darüber hinaus – bestehen bleiben.“
Langwierige Produktion
Die Herstellung von Chips ist langwierig und komplex – vom Design über die Produktionsanlage, Chemikalien, Fertigung und Verpackung kann kein Land allein modernste Halbleiter produzieren. Um ein Halbleiter-Bauelement herzustellen, wird zunächst ein monokristalliner Halbleiterrohling, ein sogenannter Ingot, gesägt, geschliffen und poliert, um ihn in eine dünne Form zu bringen. Anschließend werden auf diesem Wafer nach und nach diverse isolierende oder leitende Schichten erzeugt, die jeweils mit sogenannten lithografischen Verfahren strukturiert werden. Ganz zum Schluss werden die Wafer metallisiert, so dass Strom fließen kann und sie kontaktiert werden können. So entstehen auf einem Wafer integrierte Schaltungen mit Leiterbahnen für eine große Zahl von Bauteilen parallel. Abschließend werden die ICs vereinzelt und in ein Gehäuse eingebracht. Während des gesamten Prozesses wie auch am Ende werden die Arbeitsgänge immer wieder überprüft und die Qualität der ICs und Chips
getestet.
Komplexe Wertschöpfungskette
Der Herstellungsprozess eines einzigen Halbleiterprodukts kann rund zwei Monate dauern und umfasst rund 700 Einzelschritte, so Hagen-Holger Apel, Senior Client Portfolio Manager bei DNB AM: „Dabei müssen mehr als 70-mal internationale Grenzen überquert werden, bevor ein Endverbraucher-Kunde erreicht wird. Ein in den USA ansässiges Halbleiterunternehmen kann weltweit bis zu 16.000 Zulieferer haben.“ Diese komplexe Struktur ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Optimierung der Wertschöpfungskette hinsichtlich Fähigkeiten und Kosten. Aber sie macht die Halbleiterindustrie auch sehr empfindlich gegenüber Störungen in der Lieferkette.
In 2020 kamen gleich verschiedene Faktoren zusammen, die diese Struktur getroffen hat: Versorgungsengpässe bei Rohstofflieferanten, geopolitische Spannungen zwischen China und den USA sowie ein durch die Corona-Pandemie verzerrter Markt. „Die aktuellen Lieferengpässen sind ein Anlass, einseitige Abhängigkeiten zu hinterfragen und die Ausgangsposition im globalen Wettbewerb um digitale Technologien zu verbessern“, sagt Bitkom-Präsident Achim Berg.