Elektronik aus Kohlenstoff

Organische Halbleiter basieren auf einer völlig anderen Chemie als ihre anorganischen, silizium-basierenden Pendants. Mit ihnen lassen sich kostengünstige und flexible Elektronikbauelemente realisieren, die komplett neue Applikationen ermöglichen.

Seit einigen Jahren erfreuen sich organische Halbleiter zunehmender Beliebtheit. Die auf Kohlenstoff basierenden Materialien punkten im Vergleich mit ihren anorganischen Pendants mit einer Reihe attraktiver Eigenschaften wie zum Beispiel geringes Gewicht, niedrige Produktionskosten, Verarbeitung bei niedrigen ­Temperaturen und reichliche Verfügbarkeit. Vor allem ­ermöglichen sie die Herstellung kostengünstiger, flexibler und großflächiger Elektronikbauelemente. 

Damit können völlig neue Anwendungsfelder erschlossen werden, die der klassischen Siliziumelektronik ­versagt sind. Intelligente Verpackungen, RFID-Transponder, ­flexible ­Displays, aufrollbare Solarzellen oder Einweg-Diagnose­geräte sind nur einige Beispiele für Einsatz­felder der ­organischen Elektronik. Laut Analyse von Market Research Future wird der Markt bis zum Jahr 2024 auf ein Volumen von 179,4 Milliarden US-Dollar ­anwachsen – das entspricht einer jährlichen Wachstumsrate von 22,4 ­Prozent.

Ein Rückgrat aus Kohlenstoff 

Den Grundbaustein für organische Halbleiter bildet Kohlenstoff, dessen einzigartige Strukturen ein ­ideales ­Fundament für halbleitende Moleküle, Polymere und Schichten darstellen. Die Struktur des Kohlenstoff-­Rückgrats bildet in einem wabenartigen Verbund ein ­sogenanntes ausgedehntes Pi-System, dessen Name von der chemischen Pi-Bindung zwischen Atomen herrührt. In diesem ausgedehnten Pi-System können sich Elektronen relativ frei bewegen – die Moleküle werden halbleitend. Um die Leitfähigkeit weiter zu erhöhen, werden kleine Mole­küle zusätzlich dotiert. Hierzu benutzt man wiederum ­andere Moleküle, die in einer Mischschicht beider ­Materialien ­zusätzliche freie Ladungsträger bereitstellen.

Organische Halbleiter liegen am Anfang des Produktionsprozesses zunächst als Pulver oder kleine Kristalle vor, die chemisch synthetisiert und dann als extrem dünne Schichten auf verschiedenste Substrate aufgetragen werden. Es müssen keine großen Einkristalle gezogen oder ­Strukturen in Wafer geätzt werden. Die Pulver werden entweder ­gelöst und nass aufgetragen oder im Vakuum verdampft – Verfahren die eine Rolle-zu-Rolle-Produktion zulassen. Die notwendige Strukturierung erfolgt in der Regel über Schattenmasken, Laserschnitte oder einen selektiven Auftrag während des Druckens. Organische Halbleiter ermöglichen also den Aufbau elektronischer Schaltungen durch Verfahren, die bisher aus der Druckereitechnik bekannt waren. Die Substrate, auf die die Elektronik gedruckt wird, können dabei auch flexibel sein – zum Beispiel Kunststofffolien oder Textilien. 

Vielzahl neuartiger Anwendungen

„Gedruckte Elektronik macht völlig neue ­Anwendungen möglich, die sich mit klassischen Bauteilen nicht ­umsetzen lassen“, erklärt Dr. Klaus Hecker, Geschäfts­führer des Branchenverbandes OE-A (Organic and Printed ­Electronics Association), einer internationalen Arbeitsgemeinschaft im VDMA. Am bekanntesten sind sicherlich die organischen Leuchtdioden oder OLEDs, die mit satten Farben und geringem Energieverbrauch zum Beispiel in Fernsehern überzeugen. In der Photovoltaik versprechen ­organische Halbleiter leichte, farbige Solarmodule mit ­einer hohen Energieausbeute. Und in intelligenten ­Textilien ­ermöglichen sie es, eine Vielzahl von Umgebungsfaktoren, zum Beispiel Temperaturen oder Druck, zu erkennen und darauf zu reagieren sowie Daten mit ­anderen Geräten auszutauschen. 

Ein Beispiel dafür zeigt das niederländische Unternehmen Bilihome: Es hat eine Weste für Babys mit Gelbsucht entwickelt. Dank gedruckter Elektronik und integrierten LEDs macht sie eine Lichttherapie möglich, die den ­Säugling nicht einschränkt und sich sogar für Frühgeborene eignet.

Gedruckte Elektronik erobert zudem den Gebäudesektor. So machen die aufklebbaren Solarfolien von Heliatek aus Dresden aus nahezu jedem Gebäude einen Ökostromproduzenten. Die Solarfolien werden im Rolle-zu-Rolle-­Verfahren produziert. Für Innenräume hat die gedruckte Elektronik ebenfalls einiges zu bieten. Ein Beispiel ist das außergewöhnliche Beleuchtungskonzept von Lumitronix aus Hechingen. Der Hersteller von LED-Technik bedruckt große Bahnen aus Papier mit leitfähigen Strukturen und bestückt sie mit kleinen LEDs. Die Leuchttapeten sind in Längen bis 100 Meter erhältlich. 

Neue Möglichkeiten für den Fahrzeugbau

Derzeit erobert die organische und gedruckte Elektronik zudem den Fahrzeugbau. „In einem konventionellen Fahrzeug der Premiumklasse stecken elektronische Steuer­systeme und Kabel, die bis zu 250 Kilogramm wiegen und viel Platz beanspruchen. Das treibt den Spritverbrauch oder bei E-Autos den Strombedarf in die Höhe. Die ­Grenze ist erreicht, meint Klaus Hecker: „Gedruckte Elektronik hingegen ist leicht und bietet ungeahnte technische sowie gestalterische Möglichkeiten bei reduziertem Raumbedarf.“ Ein Beispiel dafür ist InnovationLab aus Heidelberg, das gedruckte Sensoren für Autositze herstellt. Damit ausgestattete Sitze registrieren die Sitzbelegung und erinnern an das Anlegen des Gurtes oder deaktivieren den Airbag, wenn sie einen Kindersitz ­erkennen. Gedruckte Elektronik bietet aber auch einfach „nur“ überraschende Design­optionen. So hat BMW den Traum von der Karosserie, die ihre Farbe auf Knopfdruck ändert, verwirklicht. Anhand des Konzeptautos BMW iX Flow zeigte der Autobauer kürzlich, dass sich zumindest Weiß, Schwarz und Grautöne technisch schon realisieren lassen. Die Basis dafür bildet die von E-Book-Readern bekannte E-Ink-Technik. 

„Der Fahrzeugbau ist bereits einer der größten ­Märkte für flexible und gedruckte Elektronik“, sagt OE-A-­Geschäftsführer Hecker und prognostiziert weiteres Wachstum in diesem Bereich. Die Autohersteller machen dabei nur den Anfang – auch die Luftfahrtindustrie interessiert sich ­zunehmend für die leichten ­Elektronikbauteile.