Quantensprung in der Halbleiter­technologie

Quantentechnologie verspricht, die Informationsverarbeitung und -übermittlung grundlegend zu verändern. Erste Quantenprozessoren sind ­bereits erhältlich. Gleichzeitig arbeiten Forscher daran, herkömmliche Halbleitertechnik und ­Quantensysteme zu kombinieren – und so eine völlig neue Form der Halbleiterelektronik zu kreieren.

Das Jahr 2022 markiert einen Meilenstein in der Geschichte der Digitalisierung: Erstmals werden knapp zwei Drittel des weltweiten Bruttoinlandsprodukts digital generiert, wie eine IDC-Studie prognostiziert. Die unverzichtbare Basis dafür sind sichere, hochleistungs­fähige IT-Systeme und -Infrastrukturen. ­Quantencomputer sind extrem leistungsstark und damit perfekt geeignet, um die wachsenden Datenmengen von Wirtschaft und Gesellschaft zu verarbeiten. 

Vielfache Leistung

Quantencomputer sollen die Leistung herkömmlicher Computer um ein Vielfaches übertreffen, weil sie vollkommen anders funktionieren. Statt klassischen Bits, die entweder den Wert 0 oder 1 annehmen können, benutzen sie sogenannte Quantenbits, die gleichzeitig 0 und 1 sein können. „Dadurch haben sie ein immenses Potenzial, ­Probleme anzugehen, die für klassische Computer unlösbar sind. Insbesondere versprechen sie, wichtige ­Probleme der Logistik und der Medikamentenentwicklung lösen zu können. Sie sind eine zentrale Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts“, sagt Prof. Dr. Klaus Sengstock, Gruppenleiter am Institut für Laserphysik der Universität Hamburg – im Rahmen eines Forschungsprojekts soll in den nächsten fünf Jahren an der Universität Hamburg ein funktionsfähiger Quantenoptimierer entstehen. Dabei gibt es verschiedene Möglichkeiten, Qubits zu konstruieren. Zum Beispiel können Photonen, Ionen oder supraleitende Schaltkreise als physikalische Grundlage solcher Konstruktionen dienen. 

Längst läuft der globale Wettbewerb um die leistungs­fähigsten Quantencomputer auf Hochtouren. Es geht um die Märkte der Zukunft. Fördermittel, Forschungsgruppen und führende Unternehmen gestalten den Aufbruch ins Quantenzeitalter. „Wir sind im Quantencomputing bei ­einem ­Reifegrad angelangt, bei dem diese Technologie nicht länger nur ins Labor gehört“, erklärt Dr. Walter Riess, Leiter der mit zwei Nobelpreisen ausgezeichneten Abteilung Wissenschaft und Technologie von IBM ­Research in Zürich. 

Quantenprozessoren werden ­praxistauglich

Erste Quantenprozessoren sind bereits auf dem Markt: So hat IBM 2021 einen Quantenprozessor vorgestellt, der über 127 Qubits verfügt. Bis 2023 will der Konzern einen ­Quantenprozessor mit über 1.000 Qubits bauen. Über 256 Qubits verfügt ein Prozessor von QuEra ­Computing, der bald für Kunden zugänglich sein soll. QuEra nutzt ­Forschungsergebnisse über neutrale Atome, die an der Harvard University und dem Massachusetts Institute of Technology entwickelt wurden, als Grundlage für seine skalierbare, programmierbare Quantencomputerlösung. Die Hardware verwendet Arrays aus neutralen Atomen, bei denen Hunderte von Atomen gekühlt und dann durch Laserfelder in einer kleinen Vakuumkammer angeordnet werden. Während die Glaswände der Kammer Raumtemperatur ­haben, werden die Atome nur wenige ­Millimeter entfernt per ­Laser auf ein millionstel Grad Kelvin über dem absoluten Nullpunkt gekühlt. Das ist mehr als eine Million Mal kälter als der Weltraum und mehr als tausend Mal kälter als die supraleitenden Qubits anderer Branchenvertreter wie IBM und ­Google. „Es besteht eine enorme Chance, Fortschritte bei einigen der kritischsten – und derzeit unlösbaren – Probleme unserer Zeit zu erzielen, die fast jeden von uns betreffen“, sagte Alex Keesling, CEO von QuEra und Miterfinder der QuEra-Technologie. „Wir freuen uns darauf, mit unserer ersten Maschine zu demonstrieren, was Quantencomputer für die Menschheit leisten können.“ 

Qubits und Halbleiter Hand in Hand

Quantensysteme werden laut Dell Technologies künftig allerdings nicht für sich stehen, sondern eng mit klassischen IT-Systemen zusammenarbeiten. So werden QPUs (Quantum Processing Units) bald Einzug in ­konventionelle ­Systeme halten und dort ausgewählte Berechnungen durchführen. Die klassischen CPUs übernehmen Standardaufgaben und unterstützen die QPUs durch die ­Vorbereitung der Daten und die Auswertung der ­Ergebnisse. Q.ant hat zum Beispiel ein Verfahren entwickelt, dass es ermöglicht, heute etablierte elektronische Großrechner um Prozessoren zu erweitern, die mit modernster Quanten­technologie arbeiten. Durch das Aufbringen ­hochspezieller Lichtkanäle auf Silizium-Chips lassen sich mit diesem sogenannten Photonik-Chip-Verfahren Quanten auch bei Raumtemperatur nahezu verlustfrei führen, steuern und kontrollieren. 

Quanteneffekte können aber auch direkt die Halbleiterelektronik verbessern und hier zu einem Durchbruch bei der Bandbreite der Datenübertragung, der ­Energieeffizienz und der Informationssicherheit führen. Sogenannte ­Heterostrukturen, also Schichtsysteme aus ­supraleitenden und halbleitenden Materialien, sind ­vielversprechende Nachfolger für die heutige Halbleiterelektronik. Zwei in dieser Hinsicht passende Materialien sind der Supraleiter Niobnitrid (NbN) sowie der ­Halbleiter Galliumnitrid (GaN). Bislang war aller­dings unklar, wie genau sich die Elektronen an der Kontaktfläche dieser beiden Materialien verhalten – und ob womöglich die Elektronen aus dem Halbleiter die Supraleitung stören und damit die Quanteneffekte auslöschen. Forscher des Paul-Scherrer-Instituts (PSI) untersuchten genau diese Wechselwirkungen, fanden in ihren Experimenten aber schließlich heraus, dass die Elektronen in beiden Materialien „für sich“ bleiben. Vladimir Strocov, Forscher an der Synchrotron Lichtquelle Schweiz SLS des PSI: „Dieses Schichtsystem könnte tatsächlich eine neue Form der Halbleiterelektronik hervorbringen, welche die Quanteneffekte in Supraleitern einbindet und nutzt.“ Das könnte der Halbleitertechnologie eine neue Wendung ­geben und elektronische Bauteile in Zukunft noch einmal deutlich leistungsstärker machen.