Ein Königreich für einen Chip

Die letzten zwei Jahre wurde die Weltwirtschaft von einem eklatanten Engpass an Halbleiter­Produkten ausgebremst. Die Ursache dafür war das Zusammentreffen gleich mehrerer Faktoren. 

Ford, Toyota und Nissan gehörten Anfang 2021 zu den ersten Autokonzernen, die ihre Produktion aufgrund fehlender Chips drosseln ­mussten. Bald folgten auch andere Autohersteller, ­Produktionsbänder wurden stillgelegt und ganze ­Fabriken kurzfristig ­geschlossen. Jim Farley, CEO von Ford, sprach von dem „größten Versorgungsschock, den er je gesehen hat.“ Doch nicht nur die Automobilindustrie litt – und leidet noch ­immer – unter einem akuten Halbleitermangel: Laut der US-­Investmentbank Goldman Sachs waren weltweit 169 Branchen mehr oder minder stark betroffen – von der Stahlindustrie bis zur Herstellung von Klima­anlagen, selbst bei der Bierproduktion machten sich fehlende Halbleiterprodukte bemerkbar.

Nachfrage übersteigt Angebot

Als offensichtlicher Grund dafür wird oftmals die Covid-19-Pandemie genannt, doch tatsächlich liegen die Ursachen tiefer, wie Michael Alexander, Partner bei Roland Berger, erklärt: „Die Diskrepanz zwischen Angebot und Nachfrage von Halbleitern wird immer größer.“ Neben der ­Informations- und Kommunikationstechnik und Unterhaltungselektronik hungern auch die Consumer Electronics nach Chips. Ebenso der Markt der regenerativen Energien kommt ohne Halbleiterprodukte, insbesondere Leistungselek­tronik, nicht aus. So stieg nach Analysen der Roland-Berger-Experten die Chip-Nachfrage von 2020 bis 2022 um 17 Prozent pro Jahr. Die Produktionskapazität wuchs im selben Zeitraum hingegen lediglich um sechs Prozent pro Jahr.Dennoch, Covid-19 spielt eine Rolle: Denn die im Rahmen der Pandemie weltweit verhängten Lockdowns haben die Nachfrage nach Home-Office-Technologie wie PCs oder Webcams exponentiell erhöht. Parallel stornierte die Automotive-Industrie ihre Mikrochip-Bestellungen, da sie von einem deutlich länger andauernden Einbruch der Nachfrage ausging. Als sie aber dann nach ­kurzer Zeit schon wieder anstieg, waren die Produktionskapazitäten der ­Foundries längst von anderen Verbrauchern wie eben der IT- und Smartphone-Branche ausgebucht. „Der Corona-bedingte Digitalisierungsschub in allen Lebensbereichen hat zu einer ­verstärkten Nachfrage nach Halbleitern geführt. Bereits 2020 war die Nachfrage in Bereichen wie ­Mobilfunk, Kommunikations- und Dateninfrastruktur, Computing oder Home Entertainment stark angestiegen“, erklärt Bitkom-Präsident Achim Berg. „So traf der Corona-­bedingte Nachfrageschub mit ­angespannten Lieferketten zusammen. Geopolitische Konflikte ­haben die ­Situation weiter zugespitzt“, so Berg weiter. 

Insbesondere der Handels­krieg ­zwis­chen den USA und China, als Washington Handelsbeschränkungen gegen Chinas größten Chip-Hersteller (Semiconductor Manufacturing International Corporation – SMIC) ­verhängte, führte zu erheblichen Störungen in den ­globalen Halbleiter-Lieferketten. 

Störungen bei der Produktion 

Und als wenn das nicht schon reichte, erlebte Taiwan, der größte und wichtigste Akteur in der Halbleiter­industrie, auch noch die schwerste Dürre seit mehr als einem Jahrhundert. Da für die Chip-Produktion ­große Mengen an hochreinem Wasser benötigt werden, ­führte das zu einem geringeren Output der Foundries. Zusätzlich hat auch noch ein Feuer das Hauptwerk von ­Renesas im japanischen Naka heimgesucht, ein Reinraum und sieben Chip-Fertigungsanlagen wurden ­beschädigt. Laut Bloomberg deckt die Produktion der Fabrik in Naka normalerweise bis zu sechs Prozent des weltweiten Chip-Bedarfs der Autoindustrie. Es kamen also viele Ursachen für den Mangel an Chips zusammen. 

Kapazitäten am Limit

Natürlich reagierte die Halbleiterindustrie: So fuhren die Foundries die Auslastung der Produktion bis ans Limit. Laut der Semiconductor Industry Association (SIA) liegt die vierteljährliche Kapazitätsauslastung der Fabriken seit dem ersten Quartal 2019 deutlich über der „normalen“ Vollauslastungsrate von 80 Prozent. In den letzten Quartalen erreichte sie sogar über 95 Prozent. So konnten zwischen Januar 2020 und Januar 2022 genügend Produktions­kapazitäten aufgebaut werden, um zusätzlich vier Millionen ­Wafer pro Monat herzustellen, was einer Steigerung von über 20 Prozent entspricht. „Die Halbleiterhersteller haben im Jahr 2021 mehr Chips ausgeliefert, aber die Nachfrage der OEMs war weitaus größer als die Produktionskapazi­täten der Hersteller“, so Masatsune Yamaji, Forschungsdirektor bei Gartner. Tatsächlich wurden laut SIA im Jahr 2021 mehr als 1 Billion Halbleiter verkauft, was bei weitem den höchsten Wert aller Zeiten darstellt. 

Aufbau neuer Kapazitäten braucht Jahre

Langfristig lässt sich der Halbleiterengpass aber nur durch den Neubau von Produktionen beheben. So hat die Halbleiterindustrie in 2021 den Bau von 39 ­Fabriken ­angekündigt, mehr als ein Dutzend dieser Projekte sind bereits im Bau. Doch bis eine Halbleiterfabrik in ­Betrieb gehen kann, dauert es mehrere Jahre. „Eine baldige Besserung ist nicht in Sicht. Denn der Engpass hat ­strukturelle Gründe, die in der aktuellen Ausgestaltung der ­Lieferketten liegen“, so Michael Alexander. „Die Knappheit der Chips wird bis in das Jahr 2023 – und wahrscheinlich darüber hinaus – ­bestehen bleiben.“