Die Halbleiter-Lieferkette

Die Fertigung moderner Chips erfordert ­hochspezialisiertes Know-how und immense Investi­tionen. Um dies zu stemmen, hat sich in der ­Hableiterindustrie in den letzten Jahrzehnten eine äußerst ­komplexe und globale Lieferkette ­herauskristallisiert.

Prozessoren, Logik-Module und Kommunikations-Bausteine sind heute Alltag in vielen Geräten. Doch kaum jemand macht sich wohl Gedanken, wie komplex der Prozess der Herstellung eines Chips ist: Hunderte von Firmen in dutzenden Ländern sind an Entwicklung, Design und Herstellung beteiligt. Im Durchschnitt reist ein Chip mehrere Male um die Welt, bevor das mikroelektronische Bauteil geliefert werden kann. 

Rasante Entwicklung der ­Chip-Technologie

Diese komplexen Lieferketten sind in den letzten Jahrzehnten als Reaktion auf die immer anspruchsvolleren Technologien entstanden. Seit der Erfindung des integrierten Schaltkreises im Jahr 1958 hat sich die Zahl der Transistoren pro Wafer für einen Logikchip um den Faktor 10 Millionen erhöht, was zu einer 100.000-fachen Steigerung der Prozessorgeschwindigkeit geführt hat. Gepaart mit technischen Innovationen zum Beispiel im Bereich der Packaging- und Materialtechnologien konnten so Geräte mit exponentiell höherer Rechenleistung in immer kleineren Formfaktoren entwickelt werden. Zur Veranschaulichung: Die heutigen Smartphones haben mehr Rechenleistung als die Großrechner, mit denen die NASA 1969 Apollo 11 zum Mond ­schickte. Sie enthalten auch mehr Speicherplatz als ein Server in ­einem Rechenzentrum im Jahr 2010. 

Verschiedene Regionen, verschiedene ­Aufgaben

Diese beeindruckende Weiterentwicklung der Halbleitertechnologie war und ist nur mit viel Know-how und erheblichen Investitionen möglich: Laut ZVEI investiert die Branche rund 22 Prozent des jährlichen Umsatzes in Forschung und Entwicklung – mehr als jeder andere Industriezweig. Die Antwort der Branche darauf ist Aufgabenteilung. ­Dabei hat sich eine Lieferketten-Struktur herauskristallisiert, bei der verschiedene Regionen ­besonders stark in bestimmten Aufgaben sind: Die USA sind zum Beispiel führend bei den F&E-intensivsten Aktivitäten – wie der elek­tronischen Designautomatisierung, dem Chipdesign und der ­Fertigungstechnologie. Ostasien dagegen ist führend in der Wafer-Fertigung. China ist führend in den Bereichen Montage, Packaging und Testing, die weniger hochqualifizierte Fachkräfte und auch weni­ger Kapital erfordern. Alle Länder sind in dieser integrierten globalen Lieferkette voneinander abhängig und verlassen sich auf den freien Handel, um Materialien, Ausrüstungen, geistiges Eigentum und Produkte rund um die Welt an den für die Ausführung der jeweiligen Tätigkeit optimalen Ort zu bringen. Diese globale Arbeitsteilung schafft einen enormen Wert: Nach einer Studie der Boston Consulting Group würde der Aufbau ­einer ­geschlossenen Wertschöpfungskette in einer einzelnen ­Region Investitionen in Höhe von rund 1 Billion Euro erfordern und zu einer deutlichen Verteuerung der Mikroelektronik in der Größenordnung von 35 bis 65 Prozent führen.

Spezialisierung führt zu Risiken

Die geografische Spezialisierung hat zwar zu mehr ­Effizienz geführt, sie schafft aber auch Risiken. Laut einer von SIA und der Boston Consulting Group durchgeführten Studie gibt es in der gesamten Lieferkette mehr als 50 Tätig­keiten, an ­denen eine Region mehr als 65 Prozent des Weltmarktanteils hält. Etwa 75 Prozent der Halbleiter-Produktionskapazi­täten sowie viele Lieferanten von Schlüsselmaterialien – wie Sili­ziumwafern, Fotolack und anderen Spezialchemikalien – sind in China und Ostasien konzentriert. Darüber hinaus befinden sich die weltweit modernsten Produktionskapazitäten – mit Chip-Größen unter 10 Nanometern – derzeit in Südkorea (8 Prozent) und Taiwan (92 Prozent). ­Sollte es in einem dieser Länder zu Störungen kommen – zum Beispiel durch Naturkatastrophen oder politische ­Konflikte – würde das zu schwerwiegenden Unterbrechungen in der weltweiten Versorgung mit Chips führen.

Übernahmen verändern die Chip-­Landschaft

Auch bei den Unternehmen der Halbleiterbranche selbst führten die immer höheren Anforderungen an die Chip-Technologie und die damit verbundenen immensen Investitionen in den letzten Jahren zu einer starken Konsolidierung. Heute wird jedes Segment entlang der Lieferkette – von der Chip-Entwicklung über die Hersteller von ­Fertigungstechnologie bis hin zu den Chip-Herstellern selbst – von einigen wenigen Unternehmen dominiert. So gab es Anfang der 2000er-Jahre noch 25 Unternehmen, die in der Lage waren, die zu diesem Zeitpunkt modernsten Chips zu fertigen. Heute sind es nur noch drei Unternehmen, die über die entsprechenden Fähigkeiten und Technologien in der Produktion verfügen. Bei den für die Halbleiterfertigung benötigten Maschinen und Anlagen teilen sich ein niederländisches, ein japanisches und drei US-Unternehmen mehr als zwei Drittel der Umsätze.

IoT als neuer Treiber

Gerade das IoT hat das Potenzial, die Halbleiterindustrie noch einmal spürbar zu verändern: Dieser Markt ­erfordert die unterschiedlichsten Chips – unter anderem für die Cloud-Integration und Konnektivität, für Datenverarbeitung oder Sensorik. Das Moore’sche Gesetz, das die Steigerung der Leistungsgeschwindigkeit und den Rückgang der Kosten für Chips vorhersagte, wird dabei immer weniger relevant. Bei IoT-Chips rücken dagegen Faktoren wie Stromverbrauch, Baugröße, Software und Konfigurier­barkeit in den Vordergrund. Die große Vielfalt unterschiedlicher Applikationen, für die IoT-Chips entwickelt werden müssen, hat zu einer Vielzahl von neuen Unternehmen in der Halbleiterindustrie geführt. Ihr Vorteil: Sie profitieren von den in den letzten Jahrzehnten geschaffenen Strukturen in der Halbleiterbranche. Sie können sich auf die Entwicklung neuer Chips konzentrieren, für deren Produktion aber auf die vorhandenen Fertigungskapazitäten der Spezialisten zurückgreifen – der Investitionsaufwand hält sich also in Grenzen. Das schafft Spielraum für viele ­innovative Ideen und verändert die Wettbewerbsdynamik in der ­Branche noch einmal komplett.